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Liebe Gemeinde,
Der erste Teil der Jahreslosung
Vielleicht brauchen wir gerade in diesen Zeiten einen solchen Hinweis, weil das tägliche Leben so unbarmherzig erscheint. In den Nachrichten herrschen kritische Kommentare vor. Jede und jeder scheint es besser zu wissen als die anderen, wie die Pandemie überwunden werden kann. Es gibt Verlierer in der Krise, die ohne eigenes Verschulden durch die rettenden Netze rutschen. Wer lindert ihre Not? Manche kennen das Wort Rücksicht nicht. Sie leben ihre eigenen Bedürfnisse aus. Wer schenkt ihnen den Blick für die anderen? Unversöhnliche Meinungen und Haltungen stehen sich gegenüber. Wer baut Brücken aufeinander zu? Menschen vereinsamen, verlieren soziale Kontakte, vermissen Anschlussmöglichkeiten. Wer schaut nach ihnen? Doch bei aller Berechtigung, einen barmherzigen Lebensstil anzumahnen, spüre ich auch eine Müdigkeit gegenüber solchen Appellen. Versuche ich nicht schon das ganze letzte Jahr, gegen Unbarmherzigkeit in meinem Umfeld anzugehen? Und was kann meine kleine Kraft bewirken? Der zweite Teil der Jahreslosung
Jesus redete zu seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern, zu Leuten, die mehr von ihm wissen wollten. Jesus brachte seine Botschaft in kurzen Sätzen auf den Punkt, einer davon ist die Jahreslosung. Ausgangspunkt für unser Verhalten, so machte es Jesus klar, ist Gott, der barmherzig ist. Das wird sichtbar in seiner Zuwendung zu den Menschen ohne Unterschied. Gott ist gut, so sagte es Jesus unmittelbar vor der Jahreslosung, zu den undankbaren und schlechten Menschen. Er liebt sie, und deshalb können Menschen mit dieser Liebe auch anderen begegnen. Diesem Aspekt lohnt es sich nachzuspüren. Jesus thematisierte die Barmherzigkeit Gottes in verschiedenen Zusammenhängen. Er erzählte Gleichnisse:
Ein Weinbergbesitzer zahlt all seinen Arbeitern den für die Versorgung der Familien wichtigen Lohn, obwohl manche nur eine Stunde gearbeiteten. (Matthäus 20,1-15) Ein Vater nimmt seinen verloren geglaubten Sohn wieder auf, obwohl der das Erbe durchgebracht hat. (Lukas 15,11-32) Jesus war selbst barmherzig,
er half Kranken, Infektiösen, von der Gesellschaft Verachteten und
Armen.
Der Begriff Barmherzigkeit
Lassen wir uns von dieser Barmherzigkeit Gottes prägen und bleiben wir in ihrem Einfluss, in der Gebärmutter Gottes sozusagen, reifen wir heran zu barmherzigen Menschen, die sich in großer Fürsorge und selbstlos anderen zuwenden können, sie ebenso bergen und beschützen, wie Gott es tut. Eine andere Facette des Begriffes las ich in einer Andacht. Die Autorin entdeckte in dem deutschen Wort die Begriffe Arm und Herz. Barmherzigkeit, so lässt es sich anschaulich beschreiben, ist der Arm, der von Herzen kommt und Gottes Liebe zur Tat werden lässt. Es geht also in dieser Beschreibung nicht nur um eine Haltung, sondern ganz klar um die Tat, wie wir unseren Nächsten und den Umständen begegnen, die nicht allein nach Recht und Gesetz beurteilt werden können, sondern die mehr brauchen, Empathie, Großzügigkeit und Hilfe, die voranbringt. Unser Banner, das uns wieder ein Jahr im Gottesdienstraum vor Augen sein wird, ermutigt uns zu barmherzigen Handeln, ausgestreckte Hände erwarten unsere Reaktion - mit Worten, aber auch mit Taten, einem barmherzigen Blick und vielleicht auch, indem wir die Hände in unsere nehmen und dem Menschen aufhelfen, der uns seine Hände entgegenstreckt. Werke der Barmherzigkeit
Hungernde speisen, Dürstenden zu trinken geben, Fremde aufnehmen, Nackte kleiden, Kranke versorgen, Gefangene besuchen. Im 4.Jahrhundert wurde noch ein siebtes Kriterium angefügt: Tote bestatten. Diese sieben Punkte sind vom Altertum bis in die Neuzeit wichtige Handlungsanweisungen geblieben. Gottes Barmherzigkeit, so können wir es verstehen, entgrenzt. Es geht nicht nur um die eigene Familie und um die näheren Freunde. Es geht nicht nur um das eigene Dorf oder das eigene Land. Wie Jesus sich einem römischen Hauptmann oder einer Frau aus Syrophönizien, Ausländern, zuwandte, so sollen wir unseren Radius und Blickwinkel erweitern. Da sind Menschen aus anderen Ländern, die unsere Hilfe brauchen. Vielleicht leben sie in unserer Nachbarschaft. Vor ein paar Tagen kamen mir – ausgelöst durch die Sirenen der Feuerwehr – solche Gedanken. Ich stellte mir vor, der Wohnblock gegenüber würde Feuer fangen. Die Familien dort würden ihre Wohnungen verlieren. Mit einer Familie mit drei heranwachsenden Jugendlichen grüßen wir uns immer auf der Straße. Sie kommen irgendwoher. Im Geiste ging ich durch, wie wir sie aufnehmen könnten, alle Polster zusammentragen könnten, um 5 Leuten Betten zur Verfügung zu stellen. Und wie würde es weitergehen? Würden sie dauerhaft bei uns wohnen können? Wie lange würde das gut gehen? Und ich merkte, wie die Jahreslosung auf einmal ganz konkret für mich wurde. Ja, noch gab es keine Notlage im Nachbarhaus. Aber wer weiß, vielleicht bald eine andere Herausforderung. Gut, wenn wir vorbereitet sind. Vielleicht müssten
wir die sieben Werke der Barmherzigkeit 2021 unseren Gegebenheiten entsprechend
erweitern:
Bei einer Bekannten lernte ich einen sehr hilfreichen Ohrensessel kennen. Sie hatte große Hüftprobleme und immer Mühe mit dem Aufstehen. Der Sessel war ihr Lieblingsplatz, bequem und ihren Bedürfnissen entsprechend verstellbar. So wirkt der zweite Teil der Jahreslosung. Gottes Barmherzigkeit ist wie ein gemütlicher Ohrensessel, in dem wir geborgen sind und es uns wohl sein lassen. Doch dieser besondere Sessel meiner Bekannten hatte noch eine zusätzliche Funktion. Die Sitzfläche ließ sich nach oben bewegen und nach vorne kippen, sodass sie mit dieser Unterstützung mühelos aufstehen konnte. Der erste Teil der Jahreslosung: „Seid barmherzig!“ ist wie diese Aufstehhilfe. Er katapultiert uns ins Leben und direkt in unseren Alltag, wo wir barmherzig sein können, heute und morgen. Die Kraft dazu kommt von Gott. Solange wir in seinem Einflussbereich bleiben, sind wir an seine Möglichkeiten angeschlossen. Barmherzigkeit kann Kettenreaktionen auslösen. Von einem Schnellrestaurant in USA hatte ich gehört. Dort stand eine lange Schlange an. Als der erste in der Schlange zahlen sollte und kein Geld hatte, übernahm das sein Hintermann. Und so setzte sich das fort, jede und jeder bezahlte für die Vorgänger, egal, wieviel sie bestellten. Einer machte den Anfang, da war die Fortsetzung gar nicht mehr schwer. Gott macht den Anfang mit uns, lassen wir uns mitreißen, so kann 2021 zum Jahr der Barmherzigkeit werden. Cornelia
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