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Liebe Gemeinde, liebe Schwestern
und Brüder,
So sind im 18. Kapitel des Matthäusevangeliums Worte Jesu zusammengestellt, die auf das Leben der Gemeinde abzielen. Verschiedene Themen spricht Jesus an. Er hat die Christenverfolgung im Blick, die die junge Gemeinde treffen wird, und warnt, niemand zu bewegen, von Jesus wegzugehen. Als Hauptaufgabe der Gemeinde sieht Jesus, den Verlorenen nachzugehen und sie in Gottes bergende Nähe zurückzubringen. Er nennt auch die Schwierigkeiten, die das Miteinander bereiten wird. Er ermutigt, einander zurecht zu helfen und zu korrigieren, miteinander und füreinander zu beten. Und auch diese Frage hat Jesus im Blick: Wie kann das Zusammenleben gestaltet werden, wenn man schon eine ganze Weile beisammen ist? Verletzungen bleiben da nicht aus. So fragt Petrus Jesus. „Wie oft muss ich meinem Bruder, der Unrecht getan hat, vergeben?“ Einmal leuchtet gleich ein, auch 7-mal ist möglich, eine Woche lang. Aber irgendwann ist auch mal Schluss mit Vergebung. Jesus gibt eine unerwartete Antwort. 70-mal 7-mal, also 490-mal soll Petrus vergeben. Wer kann das schon? Dazu erzählt Jesus ein Gleichnis. Matthäus 18,23-34 Die Geschichte ist einfach zu begreifen. Einer hatte so viele Schulden, dass er sie nie im Leben abarbeiten konnte. Der König wollte ihn deshalb mitsamt der ganzen Familie versklaven. Der Schuldner flehte ihn an und bat um Geduld und Aufschub. Der König hatte Mitleid mit ihm und schenkte ihm sein freies Leben ohne Schulden und Auflagen. Halten wir hier kurz inne. Es wird uns kein Grund genannt, warum sich der König erbarmte. Wollte er gebeten sein und erließ dem Knecht die Schuld erst, nachdem der Knecht ihn anbettelte? Sah der König die Not dieser Familie und lenkte deshalb ein? Wir bekommen keine Antwort, sollen aber wohl lernen: So ist Gott. Er rechnet Schuld nicht auf, hält nicht fest am Minus-Kontostand, sondern erbarmt sich aus freien Stücken. Stehe ich bei Gott in der Schuld wie dieser Knecht beim König? Diese Frage ist wohl wichtig zu beantworten, denn ohne Schuld brauche ich auch keine Vergebung. Was ist Schuld bei Gott? Auf den ersten Seiten der Bibel wird dieser Frage nachgegangen, und es gibt klare Antworten. Ich mache mich schuldig, wenn ich nicht auf Gott höre, mich seinen guten Weisungen verschließe. Ich lade Schuld auf mich, wenn ich Menschen, die er genauso liebt wie mich, Unrecht tue, Gewalt gegen sie anwende, mich an ihnen vergreife. Alles soziale Schuldig-Werden ist auch ein Schuldig-Werden an Gott. Wenn ich am Abend meinen Tag Revue-passieren lasse, stoße ich auf Situationen, wo ich lieblos war, kleingläubig, andere bevormundete oder ihnen im übertragenen oder direkten Sinn die Vorfahrt nahm. Ich werde aufmerksam auf die blinden Flecken, die sehr wohl etwas mit meinem Verhältnis zu Gott zu tun haben und einer Klärung bedürfen. Ich sehne mich danach, von der Last befreit zu werden, Vergebung von Gott und meinen Mitmenschen zu erfahren. Selbstverständlich ist das nicht. Manchmal ist die Tür zum anderen danach fest verschlossen. So wird das Gleichnis Jesu zu meiner Geschichte. Ja, auch ich bin so eine Magd, vielleicht nicht mit 10.000 Zentnern Silber in der Kreide, aber genug, dass auch ich rausgeworfen werden könnte. Der zweite Teil des Gleichnisses bezieht sich nun auf die Gemeinde. 10.000 Zentner Silber stehen in keinem Vergleich zu hundert Silbergroschen. Der Knecht handelt eigentlich durchaus klug und nachvollziehbar. Ihm wurde soeben die Freiheit mit dem Kontostand Null geschenkt. Er muss sich jetzt eine schuldenfreie Zukunft aufbauen. Was liegt näher, als erst mal die Ausstände einzutreiben und mit ihnen die neue Existenz zu begründen. Ganz anders sieht es der König. Er erwartet, dass der Knecht von ihm gelernt hat und das Erbarmen weitergibt. Was er erfahren hat, soll er nun ebenso anwenden. Der König ist sauer und nimmt sein Angebot zurück. Der Knecht wird alle 10.000 Zentner Silber gnadenlos abarbeiten müssen. Die Gemeinde, so gibt Jesus zu verstehen, ist angehalten, wie der Knecht die Barmherzigkeit Gottes weiterzugeben. Weil Gott so viel vergibt, ist auch unser Vergebungs-Reservoir unbegrenzt. Vergeben ist bei Jesus Weitergeben. Der Zöllner Zachäus hatte die Vergebung Jesu erlebt, als der sich bei ihm zum Essen einlud. Jesu Grundhaltung der Vergebung wurde für Zachäus zum Impuls, das Empfangene weiterzugeben. Seine Erfahrung prägte ihn, Jesus färbte auf ihn ab, sodass er selbst einer wurde, der barmherzig war. Der Impuls Jesu brachte den Stein bei ihm ins Rollen und soll es auch bei uns tun. Was bedeutet nun Vergebung? Heilt nicht die Zeit die Wunden, sodass wir gar nicht vergeben müssen? Stellen wir uns eine große Wunde vor. Ja, die Zeit wird sie wahrscheinlich heilen, irgendwann wächst die Haut wieder zusammen. Aber es wird ein hässliches Narbengewebe bleiben, das zeitlebens stören wird. Ganz anders, wenn die Wunde ärztlich versorgt und genäht wird. Irgendwann sieht man nur noch einen weißen Strick, der erinnert, aber nicht einschränkt. Vergebung ist wie ein ärztliches Eingreifen, das Wunden heilen lässt, so dass sie nicht mehr stören und das Leben einschränken. Wir lernen aus diesem Gleichnis einiges über Vergeben.
Mit einer Bergsteigergruppe waren wir unterwegs. Am nächsten Morgen sollte das Finsteraarhorn bestiegen werden. Ich war erkältet und dachte, was soll ich mir das antun. Bleibe ich lieber auf der Hütte und trinke Tee. Der Bergführer ließ nicht locker, er wusste aus Erfahrung, dass ich das hinterher sehr bereuen würde. Also machte ich mich nach all seinem Drängen ihm zuliebe auf den Weg. Wir mussten zig-mal anhalten, weil ich schlecht Luft bekam. Aber er nahm es gelassen und geduldig hin. Dann hatten wir den Gipfel erreicht. Was war die Freude groß. So sind wir unterwegs mit unseren Paketen der Verletzungen. Es scheint verlockend, auf halber Höhe abzubrechen. Wir brauchen Bergführer, die uns an die Hand nehmen. Mit uns den Schmerz aushalten. Mit uns fühlen und uns doch herausfordern. Darum sind wir als Christen nicht allein unterwegs, sondern in der Gemeinschaft mit Jesus und der Gemeinde. Wie oft soll ich vergeben? So fragte einst Petrus. Wie oft hat Gott mir vergeben? Wie oft haben mir andere vergeben? Da kommt einiges zusammen. Ich kann vergeben, weil ich Gottes Kraft dazu bekomme. Wir können einander vergeben, weil wir das weitergeben, was wir selbst empfangen haben. So sammeln sich in unserer Gemeinde keine Schwermetalle der Bitterkeit an, die zu Krankheiten führen, sondern wir dürfen ein Ort des Friedens in dieser und für diese Welt sein. Vielleicht noch als kleine Bemerkung am Schluss: Vergeben heißt nicht Vergessen. Es muss mit dem anderen nicht werden wie vorher. Auch gut verheilte Narben sind Erinnerungen, die gleichen Fehler nicht zweimal zu machen. Die Beziehung zum anderen muss nicht innig, aber sie kann frei und offen werden, ohne den Wunsch nach Rache oder Abrechnung. Das ist schon sehr viel. Freuen dürfen sich alle, die Frieden stiften – Gott wird sie als seine Söhne und Töchter annehmen. (Matthäus 5,9) Cornelia
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