Gottesdienst am 27.9.2020
in Brombach
Liebe Gemeinde,
Anfang des Jahres, als
es noch unbeschränkt möglich war, machte ich einen Besuch im
Krankenhaus. Das Zimmer war im 3.Stock, und ich musste den Aufzug nehmen,
der bis zum letzten Platz gefüllt war. Gesunde Besuchende und Kranke
waren beieinander. Die einen mit Mantel, Blumenstrauß, Regenschirm,
die anderen mit Infusionsflasche, Bademantel und sichtbaren Verbänden.
Wir Besuchende verließen das Haus bald wieder, unverändert,
unversehrt, unangetastet. Die Kranken würden bleiben, ihre Therapie
beenden und hoffentlich bald genesen entlassen.
In einer Sitzung unterhielten
wir uns über die Bedeutung von Gottesdiensten, da kamen mir diese
Sekunden im Aufzug in den Sinn. Verstehen wir den Gottesdienst als Krankenhaus.
Dort will Jesus uns begegnen und sich unserer annehmen. Dort werden wir
jeden Sonntag neu von ihm untersucht auf Herz und Nieren und therapiert.
Dort empfangen wir die maßgeschneiderte Hilfe von ihm und gehen im
besten Fall gestärkt und erfrischter nach Hause als wir gekommen sind.
Doch wir könnten auch
als Besuchende in den Gottesdienst kommen. Wir tauchen kurz ein in die
Atmosphäre, schauen anderen zu, die offenbar Heilung brauchen, holen
uns von Gott Bestätigung für die Woche ab und gehen unverändert
nach Hause wie ich damals nach meinem Krankenbesuch.
Jesus erzählt ein
Gleichnis, das dieses Thema aufnimmt. Lassen wir uns von Gott untersuchen
und heilen, oder bleiben wir auf dem Besucherstuhl sitzen?
Lukas 18,10-14
Jesus erzählte dieses
Gleichnis: »Zwei Männer gingen hinauf in den Tempel, um zu beten.
Der eine war ein Pharisäer und der andere ein Zolleinnehmer. Der Pharisäer
stellte sich hin und betete leise für sich: ›Gott, ich danke dir,
dass ich nicht so bin wie die anderen Menschen – kein Räuber, Betrüger,
Ehebrecher oder Zolleinnehmer wie dieser hier. Ich faste an zwei Tagen
in der Woche und gebe sogar den zehnten Teil von allem, was ich kaufe.‹
Der Zolleinnehmer aber stand weit abseits. Er traute sich nicht einmal,
zum Himmel aufzublicken. Er schlug sich auf die Brust und sprach: ›Gott,
vergib mir! Ich bin ein Mensch, der voller Schuld ist.‹ Das sage ich euch:
Der Zolleinnehmer ging nach Hause und Gott hatte ihm seine Schuld vergeben
– im Unterschied zu dem Pharisäer. Denn wer sich selbst groß
macht, wird von Gott unbedeutend gemacht. Aber wer sich selbst unbedeutend
macht, wird von Gott groß gemacht werden.«
Schon beim ersten Satz
werden wir aufmerken. Pharisäer sind Jesu Widersacher. Von ihnen wird
eigentlich nie positiv erzählt. Dagegen gilt den Zolleinnehmern Jesu
ganze Zuwendung. Sie arbeiten mit der römischen Besatzungsmacht zusammen,
müssen von ihren Zolleinnahmen an den Stadttoren ihre Pacht für
die Zollstation bezahlen und ihre Familien durchbringen, kein Wunder, dass
sie oft mehr Geld einstreichen als vorgesehen und Leute übers Ohr
hauen. Sie können schon von Berufs wegen die Gebote Gottes nicht halten
und haben ein Minuskonto bei Gott. Im Umgang mit ihnen zeigt Jesus so deutlich,
dass es bei Gott nicht auf unseren Kontostand ankommt, weil er seine Liebe
vorbehaltlos schenkt.
Der Pharisäer im Gleichnis
Der Mann, der im Tempel
betet und sozusagen Gottesdienst feiert, wird eigentlich beschrieben wie
ein guter Christ. Er ist fromm und Gott dankbar für sein Leben. Er
pflegt seine Gottesbeziehung und fastet sogar zweimal die Woche. Es ist
ihm ein Anliegen, dass er Gott mit Leib und Seele nahe ist. Er kümmert
sich um die Notleidenden, seine Spenden gehen auch über das Übliche
und Geforderte hinaus. Nach seiner Selbstdarstellung macht er eigentlich
alles richtig.
Durchaus nachvollziehbar
ist, dass er dankbar ist, nicht wie die anderen zu sein. Ich danke doch
auch, dass ich in diesem Land lebe, dass ich meinen Lebensunterhalt aus
eigener Kraft verdienen kann, nicht klauen muss, um die Familie zu ernähren.
Ich danke, dass ich nicht so verblendet bin wie manche anderen und scheinbar
die richtige Sicht auf die Welt habe. So entdecke ich den Pharisäer
auch in mir.
Der Pharisäer dankt
aus vollem Herzen, doch er wird unverändert den Tempel und den Gottesdienst
verlassen. Gott konnte nicht an ihm wirken, denn er hat ja nur „Hallo“
und „Danke“ gesagt. Danach machte er einfach weiter wie bisher.
Der Zolleinnehmer im Gleichnis
Der Mann bleibt im Abstand
stehen, er sitzt sozusagen auf der letzten Kirchenbank. Auch sein Verhalten
kann ich bestens nachvollziehen. Er traut sich nicht, in Richtung Gott
zu schauen. Voller Scham schaut er zu Boden, denn er erwartet, dass Gott
seine Lebensweise nicht gutheißt. Seiner Fehltritte ist er sich bewusst.
Was mich beschäftigt,
warum kommt er überhaupt? Offensichtlich erwartet er etwas im „Krankenhaus“
Tempel. Auch wenn er sich schlecht fühlt, hofft er im Stillen, dass
Gott etwas an seiner Situation ändert. Vielleicht hat er Sehnsucht
nach einer göttlichen Umarmung und einem Wort, das ihm zusichert:
„Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.“ Vielleicht hofft
er auf Impulse, sein Leben zu ändern. Die Begegnung mit dem Zolleinnehmer
Zachäus führt das sehr anschaulich vor Augen. Wie Jesus bei Zachäus
einkehrt und der sein Geld denen zurückgibt, die er betrogen hat,
und noch viel mehr dazu (Lukas
19,1-10). Vielleicht erwartet der Zolleinnehmer auch, dass ihn Gott
in die Gemeinschaft der Glaubenden zurückholt, er nicht auf der letzten
Kirchenbank sitzen bleiben muss, sondern vorrücken darf und aufgenommen
wird.
Nur ganz kurz, fast zwischen
den Zeilen, erfahren wir, dass Gott genau so an ihm gehandelt hat. Er entfernte
die Steine in seinem Herzen, nahm ihm die Lasten seiner falschen Entscheidungen
ab und ließ ihn frei und unbeschwert nach Hause gehen. In sein altes
Leben als Zolleinnehmer ging er als veränderter und geheilter Mensch.
Sicher wird er seine Geschäfte in Zukunft anders geführt haben.
Mag sein, er nahm sogar eine neue Arbeitsstelle an.
Pharisäer, Zolleinnehmer
und wir
Eine Beispielgeschichte
von Jesus ist immer eine Mitmachgeschichte zum Mit- und Weiterspielen.
Die Frage ist doch, wie ich vom Pharisäer zum Zöllner werden
kann. Ist zwar der Pharisäer so gezeichnet, dass ich mich mit ihm
identifizieren kann, spüre ich doch die Not, die hinter seiner Person
steht. Er sieht nur sich selbst, er will so bleiben, wie er ist, er fühlt
sich stark und unangreifbar mit Gott im Boot. Vor lauter Selbstbespiegelung
hebt er ab und schaut auf andere herab. Ja, ich möchte kein Pharisäer
bleiben, nur auf Besuch bei Gott, sondern mich wie der Zolleinnehmer von
Jesus verändern lassen. Mir sind vier Schritte dazu wichtig geworden.
1.Schritt: Selbsterkenntnis
Ich bin nicht besser als
der Pharisäer, nehme selbstverständlich, dass es mir gut geht
und Gott mir Gutes tut. Ich halte meine guten Taten für angemessen
und erwarte von Gott Beifall-Klatschen. Ich schaue auf andere herab und
komme leicht auf Gedanken, dass sie selbst schuld an ihrer Misere sind.
Der Gottesdienst am Sonntag bestärkt mich, richtig zu sein. Ich höre
das, was mich versichert, richtig und glaubensstark zu sein.
2.Schritt: Ich bin bedürftig
Mir wird klar, dass ich
in allem abhängig von Gott bin. Ohne ihn, seinen Segen, seine Liebe,
seine Geduld mit mir wäre ich verloren. Er ist dafür verantwortlich,
in welches Nest ich hineingeboren wurde, welche Chancen ich im Leben erhielt
und welche Kraft ich habe, um mich in dieser Welt einzubringen. Ich habe
so wenig selbst in der Hand, im Nu kann alles anders sein. Hausbesitzer
in der Brandregionen im westlichen Amerika bekommen das gerade zu spüren.
3.Schritt: Ich schaue in
meine Tiefe
In meinem Leben ist nicht
alles heil und gesund. Ich bin auch nicht für alles dankbar. Da gibt
es Verletzungen, die andere mir zugefügt haben. Eine Frau erzählte
mir davon, wie sie immer wieder von Männern fallengelassen wurde,
ein ewiger Kreislauf, der sie bitter gemacht hat. Da ist das Gefühl,
nicht zu genügen. Ein Kind in einer Kindergruppe brachte das neulich
so zum Ausdruck: Ich kann nicht Mathe und Deutsch auch nicht, in Sport
werde ich nie in die Mannschaft gerufen. Mich braucht keiner. Da ist der
Eindruck, immer auf der Verliererseite zu stehen. Andere feiern ihre Erfolge,
und ich schaue immer nur zu. Andere bekommen tolle Jobs, und ich hänge
in meiner unbefriedigenden Arbeitssituation fest. Da ist die Selbstüberschätzung
und der jähe Fall, der mein Selbstbild zum Einsturz bringt. So viele
Wunden können in einem Leben sein, die nicht verheilt sind und ihr
Eigenleben führen. Jesus lädt ein, sich von ihm behandeln zu
lassen. Er kennt unsere Tiefen und will sie mit uns verändern.
4.Schritt: Zurück
ins Leben
Wer von Jesus in diesen
Tiefen seiner Seele berührt wird, kann ein Wunder erleben wie der
Zolleinnehmer damals. Er bekommt Mut zur Veränderung, die neue Perspektive
setzt Kraft frei. Der Dank wird sich verändern. Nicht mehr, weil ich
soviel wert bin, sondern weil ich im „Krankenhaus“ Gottes Hilfe erfahren
habe, bin ich Gott zutiefst dankbar.
Gottesdienst kann verändern,
wenn wir Gott einladen, in unsere Tiefe zu kommen, wenn wir Jesus machen
lassen und bereit sind, auch anstrengende Heilungsprozesse einzugehen,
sein Ja zu uns nicht nur hören, sondern aufnehmen und als Medizin
an uns wirken lassen.
Cornelia
Trick
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