Der widerspenstige Jesus (Markus 8,31-35)
Gottesdienst am 23.2.2020 in Brombach

Liebe Gemeinde,
vor einigen Jahren schenkte mir ein Jugendlicher ein kleines Kreuz. Er hatte es während seines Schulpraktikums in einem metallverarbeitenden Betrieb hergestellt. Seither liegt es auf meinem Schreibtisch, und oft nehme ich es während eines Telefonats in die Hand. Immer wieder dachte ich, schade, dass der Jugendliche das Praktikum nicht in einer Schreinerei gemacht hatte. Dann wäre das Kreuz in meiner Hand warm, anschmiegsam und würde mir Gottes Liebe fühlbar nahebringen. Ich könnte es zu Krankenbesuchen mitnehmen und es Sterbenden in die Hand legen. So jedoch ist das Kreuz erstmal kalt, erwärmt sich nur langsam, es ist hart und kantig, nichts zum Wohlfühlen, eher ein Symbol für Mühen und Lasten. 

Beim Nachdenken über die Worte Jesu, die ich heute mit Ihnen bedenken will, nahm ich das Kreuz auch in die Hand. So widerspenstig, wie es da in meiner Handfläche lag, so widerspenstig kamen mir auch Jesu Worte vor, und ich bekam ein Gefühl für Petrus, der sie damals hörte.

Petrus und die anderen Jünger waren mit Jesus zusammen durch Galiläa, ihre Heimat, gezogen. Petrus sah Jesus zu bei Wundern, bei Seelsorge, bei Predigten, bei Auseinandersetzungen und im Vermitteln zwischen den Jüngern. Nun sollte diese Zeit zu Ende gehen. Jesus nahm seine Nachfolger mit nach Jerusalem, wo das Kreuz auf ihn wartete. Ganz am Anfang der Reise stellte er den Jüngern die Frage: „Für wen halten mich die Leute?“ Die Jünger berichteten ihm, was sie gehört hatten. Die Leute hielten Jesus für einen, der sie mit Gott in Kontakt brachte wie früher die Propheten, sie dachten, dass er eine neue Zeit beginnen würde, sie sahen in ihm den Anfang von Gottes Zukunft. Jesus wollte es nun genauer wissen: „Und ihr?“ Petrus antwortete als Erster: „Du bist Christus, der Gesalbte Gottes, auf den Israel hoffte.“ Dahinter steckt die Erwartung, dass mit Jesus Frieden werden würde. Die von den Propheten angekündigte Zukunft, Gerechtigkeit für die Armen, Ausgleich von arm und reich, blühende Landschaften und eingeebnete Berge würde nun Realität werden. Petrus erwartete eine Vorstufe zum Paradies.
Doch Jesus war anders als erwartet, mehr wie ein Metallkreuz als wie ein Holzkreuz.

Markus 8,31-33
Danach erklärte Jesus seinen Jüngern zum ersten Mal, was Gott mit ihm vorhatte: »Der Menschensohn wird viel leiden müssen. Die Ratsältesten, die führenden Priester und die Schriftgelehrten werden ihn als Verbrecher behandeln. Sie werden ihn hinrichten lassen, aber nach drei Tagen wird er vom Tod auferstehen.« Das sagte er ihnen ganz offen. Da nahm Petrus ihn zur Seite und fing an, ihm das auszureden. Aber Jesus drehte sich um, sah seine Jünger an und wies Petrus streng zurecht: »Geh weg von mir, Satan! Dir geht es nicht um das, was Gott will, sondern um das, was Menschen wollen.«

Wer ist Jesus?
Petrus dachte zu wissen, wer Jesus ist, Heilsbringer, Heiland, denn so hatte er ihn bisher erlebt. Kinder, Arme, Leidende, Trauernde sind heil geworden und haben eine neue Perspektive für ihr Leben bekommen. Sie wussten sich durch Jesus wertgeachtet und von Gott gewollt. Ziehen wir diese Linie weiter aus, so kommen wir zu einem Jesus, mit dem alles immer besser wird. Jesus ist das hölzerne Handschmeichler-Kreuz in unseren Händen. Mit ihm gelingt das Leben, Frieden, Wohlstand und Gesundheit sind garantiert. Und ruckzuck gilt auch die Umkehrung: Wenn es dir schlecht geht, dann hast du Jesus nicht in deine Hand genommen.

Doch Jesus zeigt sich Petrus und uns in einem ganz anderen Licht. Sein Weg geht nicht weiter auf sonnigen Höhen, sondern führt ins tiefe Todestal. Er wird sich mit den Führenden in der Hauptstadt anlegen und keinen Frieden verbreiten können. Er wird selbst leiden müssen, von Heilung keine Spur. Er wird umgebracht werden, statt Leben in Fülle zu genießen. Wie ein kurzer Nachsatz wirkt die Aussage, dass Jesus auferstehen wird. Hat Petrus diesen Nachsatz überhört? Ist er hängengeblieben an den Schreckensszenarien, die ja auch die Jünger bedrohten? Hat er buchstäblich rot gesehen bei der Ankündigung, dass sein Idol freiwillig sterben wollte?

Jedenfalls reagiert Petrus sofort und versucht, ihn von diesem Weg wieder abzubringen. Fast scheint es wie die Wiederholung der Versuchung Jesu in der Wüste am Anfang seiner Wirksamkeit (Matthäus 4,1-11)

Petrus meinte Jesus zu kennen, und nun stand ein ganz anderer vor ihm.

Jesus scheint nicht direkt Petrus zu antworten. Es ist, als ob er einen hinter Petrus sieht, der Petrus nur vorschiebt in eigenem Interesse. „Satan“ gibt Petrus die Worte ein. Er verunsichert Jesus wie schon damals in der Wüste. Er greift die Sehnsüchte der Jünger auf: Sicherheit, Heimat, Frieden, Beziehungen, kurz – das galiläische Idyll statt des Jerusalemer Prozesses. Satan will Jesus von seinem Weg abbringen und ihn hindern, den letzten Schritt zu tun, um den Menschen den Himmel wirklich aufzuschließen.

Doch Jesus ist stärker. Er fährt Satan harsch an: „Geh weg!“ Das sagt er nicht Petrus, wie könnte er seinen engsten Vertrauten Satan nennen, sondern dem, der Petrus missbraucht. 

Das scheinbar alltägliche 4-Augen-Gespräch zwischen Jesus und Petrus wird zum Ringkampf der Königsklasse. Gott kämpft gegen Satan. Jesus ist auf Gottes Seite und wird deshalb siegen. So zeigt dieses kurze Wortgefecht, dass Jesus wirklich der Christus ist, für den die Jünger ihn halten. Nicht nur der liebe Heiland, sondern auch der Herr über das Böse.

Warum muss Jesus leiden und sterben?
Diese Frage beschäftigte uns in einer Gruppenstunde. Jemand sagte ganz richtig: „Jesus musste sterben, um uns von der Sünde zu erlösen.“ Wir hakten nach: „Was bedeutet das denn? Wie würdest du das deinem Nachbarn erklären?“ Da flossen die Worte nicht so flüssig. Und wir alle merkten in dieser Runde, dass unsere Nachbarn so gar keine biblische Vorbildung haben, sich nicht mit Opfern im Alten Testament auskennen, nicht wissen, was am großen Versöhnungstag, dem Jom-Kippur-Tag, einmal jährlich geschehen ist. So versuchten wir, diesen Tod für uns mit unserer Erfahrungswelt zu verbinden. 

Jesus war nicht Zuschauer, der das Elend der Menschen interessiert, aber weitgehend unbeteiligt betrachtete. Er ging als Sohn Gottes, also mit Gott in engster Verbindung, den tiefsten Weg, noch eine Etage tiefer als wir. Denn er war unschuldig, der unschuldigste Mensch überhaupt. Statt seiner eigenen Schuld schulterte er unsere Schuld, die Schulden jedes einzelnen Menschen auf dieser Welt. 

Nun haben wir nicht unbedingt den Eindruck, dass wir so viel Schuld begangen haben. Die meisten von uns führen ein gutes Leben, sind nett zu ihren Mitmenschen, sind nicht gewalttätig und entschuldigen sich, wenn sie jemand auf den Fuß getreten sind. Das ist gut so. Und doch gibt es Situationen, die uns ein Leben lang belasten können. Wir haben Unrechtes über jemand gesagt und können es nicht mehr zurückholen. Wir haben Fehler in der Erziehung gemacht, die Auswirkungen können wir nicht wegradieren. Wir haben Chancen zum Guten verpasst und sind den Weg des geringsten Widerstands gegangen, wohl wissend, dass wir damit falsch lagen. Das alles führt in der Konsequenz zum Sterben. Beziehungen sterben, Vertrauen wird getötet, Lebensmut verschwindet, Schuldgefühle lassen ersticken. 

Doch Jesus trägt noch eine andere Dimension von Schuld, nämlich unsere Gleichgültigkeit gegenüber Gott. Die zeigt sich besonders in den Extremen. Wir tun so, als ob es keinen Gott gäbe, meinen, die Welt und unser Leben in der eigenen Hand zu haben. Und wir sind abgrundtief verzweifelt und ohne Hoffnung, wenn uns das Leben aus der Hand gleitet. Wir rechnen nicht damit, dass Gott unsere Welt in seiner Hand hält, und vertrauen ihm nicht, dass er auch uns nicht fallen lässt. Diese Schuld, an der wir alle tragen, nimmt Jesus uns ab. Er hat die schlimmsten Zustände von uns Menschen erlitten bis hin zum Tod. Damit hat er von seiner Seite aus die Trennung von Gott komplett aufgelöst. Er sagte am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lukas 23,34

Wenn wir Jesus vertrauen, uns ihm anvertrauen, ist unsere Trennung von Gott überwunden, unsere Schuld, die Trennung von Gott, ist weg. Wir können nun aufrecht laufen, das Paket ist von unseren Schultern genommen, der Seelenmüll bei Jesus gelandet. Jesus ist nicht tot geblieben, er ist auferstanden zum ewigen Leben bei Gott, zu ihm gehören wir nun auch im neuen Leben.

Markus 8,34-35
Dann rief Jesus das Volk und seine Jünger zu sich. Er sagte: »Wer mir folgen will, darf nicht an seinem Leben hängen. Er muss sein Kreuz auf sich nehmen und mir auf meinem Weg folgen.  Wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Wer aber sein Leben verliert, weil er an mich und die Gute Nachricht glaubt, wird es retten.

Konsequenzen
Jesus öffnet nun das Gespräch wieder für alle Jünger und damit auch für uns. Das Kreuz auf sich zu nehmen und Jesus zu folgen, muss in unser Leben übersetzt werden. 

Deutung 1:
Mit dem Kreuz ist das Geschehen am Karfreitag gemeint. Simon von Kyrene, der auf dem Weg zur Kreuzigungsstätte den Balken von Jesus auf seine Schultern gelegt bekam, ist das Urbild für einen Nachfolger, der sein Kreuz auf sich nimmt. Wer zu Jesus gehört, bekommt die Kraft, selbst ein Martyrium durchzustehen. Das deckt sich mit der Lebenserfahrung. Zu Jesus zu gehören, bringt manche Unwetter mit sich, die Sonne ist dann ganz verhüllt, man spürt die Liebe Gottes in diesen Zeiten nicht hautnah.
Wie Jesus für Schwache einzutreten, kann großen Widerstand hervorrufen. Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu fischen und sie dort nicht ertrinken zu lassen, ist sicher im Sinne Jesu. Aber Seenotretter können in größte Schwierigkeiten kommen. Man nimmt ihnen nicht unbedingt ab, dass sie es als Christen tun. Sie werden angeklagt als Übertreter von Gesetzen und Aufwiegler.

Wer liebt, kann auch abgrundtief enttäuscht werden – von Freunden, die die Liebe ausnutzten, sich im entscheidenden Moment gegen uns wandten, uns einfach im Stich ließen. Von Partnern, die ihr lebenslängliches Versprechen nicht hielten. Von Eltern, die vernachlässigten, und Vorbildern, die in Wirklichkeit keine waren. 

Wer innige Gebetsanliegen vor Gott bringt, manchmal über lange Zeit, und sie nicht erfüllt bekommt, die andere aber schon, muss das verkraften.

Wer daran festhält, dass uns alle Dinge von Gott her zum Besten dienen, wird ins Zweifeln kommen, wenn „das Beste“ wie ein immer größer werdendes Chaos oder Leid daherkommt trotz Jesus.

So hilft das Bild, das Jesus uns mit diesen Worten entwirft. Das Geheimnis steckt in dem Wort „Nachfolge“. Nachfolge übersetze ich jetzt mal mit Kleben. Wer an Jesus klebt, den trägt Jesus mit seinem Kreuz, seinen Enttäuschungen und Anfechtungen mit. Wer an Jesus klebt, bekommt seine Kraft, auch die Widrigkeiten durchzustehen.  Wer an Jesus klebt, ist im Einflussbereich der Liebe Gottes.

Deutung 2:
Jesus könnte auch die Taufe als Eigentumszeichen Gottes meinen. Einem Täufling wird das Kreuz auf die Stirn gezeichnet, er oder sie wird damit zeichenhaft mit Jesus verbunden. Koptische Christen bekommen dieses Kreuz sogar dauerhaft als Tatoo eingeprägt, zeitlebens sind sie erkennbar als Jesu Nachfolgerinnen und Nachfolger. Das Kreuz ist also nicht ein Leid, das mit Jesu Hilfe geschultert wird, sondern das Zeichen, dass ich zu Jesus gehöre:

  • Ich bin gefunden von ihm, habe einen Platz in dieser Welt und bin gewollt, muss mich nicht kleiner oder größer machen, als ich bin.
  • Ich kann mich hingeben, ohne mich zu verlieren. Eine Mitarbeiterin bei der Kinderkirche drückte es mal so aus: „Ich genieße die Zeit mit den Kindern. Ich mache nicht ein Programm für die Kinder und werde dabei ganz erschöpft, sondern erlebe Jesus mit ihnen.“
  • Ich muss mich nicht selbst festhalten. Jesus hat mir den Rettungsring zugeworfen, ich habe ihn übergezogen, und er hält mich auf der Spur. Das gibt mir die Kraft, andere mitzunehmen.
  • Ich bekomme einen Blick für die Aufgaben von Gott her, denn meine Hände und mein Rücken sind frei. 
Jesus ist widerspenstig, kein Wohlfühl-Jesus, der uns ein sonniges Leben bei 23 Grad garantiert. Aber mit ihm zusammen, angeklebt an ihm wird auch mein Kreuz tragbar bleiben und mich nicht hindern, dieses Leben zu meistern und dabei Erfüllung zu finden. Das Kreuz ist nur Durchgangsstation, der Himmel wartet.

1. In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ. Durch dich wir haben himmlische Gaben, du der wahre Heiland bist; hilfest von Schanden, rettest von Banden. Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet, wird ewig bleiben. Halleluja. Zu deiner Güte steht unser G'müte, an dir wir kleben im Tod und Leben; nichts kann uns scheiden. Halleluja.
2. Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden Teufel, Welt, Sünd oder Tod; du hast's in Händen, kannst alles wenden, wie nur heißen mag die Not. Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren mit hellem Schalle, freuen uns alle zu dieser Stunde. Halleluja. Wir jubilieren und triumphieren, lieben und loben dein Macht dort droben mit Herz und Munde. Halleluja. (Erfurt 1598, Cyriakus Schneegaß?)

Cornelia Trick


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