Der innere Kompass (Markus 9,33-37)
Gottesdienst für den 14.3.2021 in Brombach, wegen des Lockdowns ohne anwesende Gemeinde

Liebe Gemeinde,
vor einigen Tagen fand die Miss-Germany-Wahl 2021 statt. In der Presse war zu lesen, dass nun ganz andere Auswahlkriterien für die schönste Frau Deutschlands gelten sollten als bisher. Nicht das Aussehen und die Idealmaße sollten im Mittelpunkt stehen, sondern die Persönlichkeit der Frauen. Trotzdem fragte ich mich mal wieder, was Menschen antreibt, an einem solchen Wettbewerb teilzunehmen. Ist es die Umgebung, die ihnen sagt: „Mach das, du hast das Zeug dazu!“? Wollen sie sich selbst vergewissern, dass sie es ganz weit nach oben schaffen können und etwas Besonderes sind? Sehen sie ihre Aufstiegschancen, die sich aus einer Wettbewerbsteilnahme ergeben könnten?

Vielleicht sind diese Überlegungen auf alle Wettbewerbssituationen anzuwenden. Man wird von außen angefeuert, man spürt das innere natürliche Bedürfnis nach Anerkennung, man möchte die Rangfolge abchecken, möglichst weit oben auf der Leiter landen und erhofft sich positive Auswirkungen auf die nächste Wegstrecke.

Solchen Wettbewerbs-Ehrgeiz kenne ich auch, obwohl ich niemals zu einer Casting-Show wollte. Ich erinnere mich an eine Situation im Frauensport. Wir sollten eine kleine Strecke mit der Übungsleiterin um die Wette spurten, und ich legte all meine Kraft hinein, um sie am Ende zu besiegen. Was für ein verrücktes Wettrennen, wo ich doch gar nicht so viel Sport mache. Was trieb mich dabei wohl an?

Jesus bereitete sich auf seine Passion vor. Es war ihm so wichtig, seinen Jüngern einen inneren Kompass mitzugeben, um auch nach Ostern mithilfe dieser Orientierungshilfe Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Eines seiner Themen war, wie sich das Verhältnis der Jünger untereinander gestalten konnte? Auch für uns lassen sich daraus wichtige Erkenntnisse ableiten.

Jesu Freunde hatten gerade ein Wechselbad der Gefühle erlebt. Drei von ihnen waren mit Jesus auf dem Gipfel gewesen, hatten Gottes Nähe erlebt, seine Stimme gehört. Die anderen neun waren ins tiefste Tal ihrer Ohnmacht geraten, konnten in Abwesenheit ihres Meisters ein krankes Kind nicht heilen. Die Jünger lernten aus beiden Erfahrungen. Wie wichtig waren Gipfelerfahrungen für den Glauben. Sie ließen sich nicht erzwingen, aber wenn man sie geschenkt bekam, gaben sie einen Vorgeschmack auf den Himmel. Die anderen Neun wurden sich ihrer Grenzen bewusst. Nur mit Jesus, im Vertrauen auf ihn, in der Verbindung zu ihm konnten sie handeln in der Vollmacht Gottes. 

Ich kann mir vorstellen, dass bei den Neun ein kleiner Stich zurückgeblieben ist. Warum waren sie nicht auf den Berg mitgenommen worden? Warum mussten sie an ihre Grenzen erinnert werden? War das nicht ungerecht? Und wer war eigentlich der wichtigste und liebste Jünger von Jesus? Sicher wollten es alle sein. Und als Jesus ein paar Schritte vor ihnen herging, entbrannte eine hitzige Diskussion:

Markus 9,33-37
Jesus und seine Jünger gingen nach Kafarnaum. Als sie zu Hause angekommen waren, fragte er sie: »Worüber habt ihr euch unterwegs gestritten?« Die Jünger schwiegen. Sie hatten unterwegs darüber gestritten, wer von ihnen der Wichtigste ist. Jesus setzte sich, rief die Zwölf zu sich und sagte zu ihnen: »Wer der Erste sein will, muss der Letzte von allen werden und allen anderen dienen.« Dann rief er ein Kind herbei und stellte es in ihre Mitte. Er nahm es in den Arm und sagte zu den Jüngern: »Wer ein Kind wie dieses aufnimmt und sich dabei auf mich beruft, der nimmt mich auf. Und wer mich aufnimmt, nimmt nicht nur mich auf, sondern auch den, der mich gesandt hat.«

Ich kann mir diese Runde mit Jesus richtig gut vorstellen. Jesus zitiert die 12 und fragt nach, was sie miteinander verhandelt haben. Klar, die Jünger hätten liebend gerne gesagt: „Wir haben uns gestritten um den besten Weg, wie wir deinen Tod verhindern können.“ Aber Jesu Blick geht ins Herz, da ist keine Chance zu leugnen. Sie müssen gestehen, es ging um Konkurrenz. Ich würde erwarten, Jesus sagt ihnen: „Niemand ist mir wichtiger als die anderen. Ich liebe euch alle. Und am meisten kümmere ich mich um den, dem es gerade am schlechtesten geht.“ Aber Jesus spürt, dass jetzt eine grundsätzliche Aussage zum inneren Kompass dran ist. Er macht deutlich, dass sie sich keine überflüssigen Gedanken zur Rangfolge zu machen brauche. Sie sind geliebt, egal ob auf dem Berg oder im Tal. Aber wer sich dennoch überlegt, wo er auf der Beliebtheitsskala steht, soll sich hinten anstellen auf die unterste Stufe und den anderen helfen, ihre Sprossen zu erklimmen. Er soll seine Energie nicht für seine Karriere im Reich Gottes nutzen, sondern sie für seine Mit-Jünger einsetzen. 

Mein innerer Kompass
Vergleiche mit anderen lassen sich nicht vermeiden. Ich werde immer registrieren, wer vor mir läuft und wer nach mir kommt. Das gehört zum Überlebenspaket, das wir alle mitbekommen haben. Doch ich kann dabei eine Entscheidung treffen. Mein Wert bei Jesus hängt eben nicht davon ab, wo ich gerade in der Reihenfolge stehe. Mein Wert bleibt gleich an allen Positionen. Doch meine errungene Position kann ich nutzen, um anderen zu helfen, die nach mir kommen. Unser Kirchengründer John Wesley hatte das sehr eindrücklich in Bezug auf sein Einkommen gelebt. Er sagte: „Verdiene soviel du kannst, spare soviel du kannst, und gebe soviel du kannst.“ Obwohl er ein hohes Einkommen hatte schon durch seine Buchveröffentlichungen, fand man auf dem Sterbebett nur eine Münze in seiner Hosentasche, den Rest hatte er eingesetzt für andere. Das Lebensmotto lässt sich auf andere Lebensbereiche anwenden. 

Und auch im Bezug auf die Gemeinde ist dieser innere Kompass überlebenswichtig. Weil es uns in der Gemeinschaft nicht darum gehen kann, möglichst beliebt und erfolgreich bei den anderen angesehen zu werden, stehen wir nicht vor den ersten Plätzen Schlange, sondern drängeln uns bei den letzten. Das sind die, die unscheinbare und wenig auffällige Dienste tun: Unkraut im Vorgarten rausrupfen, beim Laufen über den Kirchenparkplatz ins Auge fallende Zigaretten-Kippen aufsammeln, anrufen bei denen, die einsam sind, die Aufgaben übernehmen, die einfach dran sind ohne viel Aufhebens. 

Diese Haltung geht über die Kirchenmauern hinaus. Unser innerer Kompass wird uns helfen, auch in unserem Alltag fernab der Gemeinde im Auge zu behalten, wie wir unsere Fähigkeiten nicht für unsere Selbstbespiegelung nutzen, sondern sie einsetzen für andere.

Das Kind in die Mitte
Jesus will mit diesem Kind den Jüngern zeigen, wie er sie in seiner Gemeinschaft sieht:

  • Jünger Jesu zeichnen sich nicht durch ihre Leistung aus, sondern sind auf Hilfe angewiesen, noch nicht fertig, sondern in der Entwicklung.
  • Wer mit Jesus unterwegs ist, sollte sich bewusst sein, dass er oder sie die Erkenntnis nicht für sich gepachtet hat und angewiesen ist auf die Gemeinschaft wie das Kind auf die Familie.
  • Jünger können sich irren, deshalb sollten sie korrekturbereit bleiben.
  • Gemeinschaft um Jesus besteht aus nicht perfekten Menschen, die aneinander schuldig werden.
Das Matthäusevangelium gibt noch eine Ergänzung zu dieser Szene mit dem Kind weiter. Jesus sagt dort, dass für die Gemeinschaft untereinander nicht nur Demut, sondern auch Vergebung nötig ist. (Matthäus 18,15-35).

Denn eine Gemeinschaft, auch wenn alle noch so bemüht sind, einander zu dienen, wird Vergebung brauchen. Verletzungen, gewollt oder ungewollt, passieren. Dass aus ihnen keine eiternden Wunden werden, die letztlich zerstören, ist Jesus ein Anliegen. So ruft er auf, aus der Vergebung Gottes die Kraft zu schöpfen, einander zu vergeben. Hier nur ganz kurz drei Schritte in diesem Prozess, der sich durchaus über eine längere Zeit hinziehen kann:

  • Schritt 1: Ich stoppe alle Gedanken, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Rachegedanken gebe ich keinen Nährboden.
  • Schritt 2: Ich bete um eine neue Art, den oder die andere zu sehen. Ich lasse mir eine neue Sicht auf unser Problem schenken, erkenne auch meine eigenen Anteile und erahne, wie ein neues Miteinander oder auch ein gegenseitiges Loslassen aussehen könnte.
  • Schritt 3: Ich kann meinem Kontrahenten Gutes wünschen, ohne mich verbiegen zu müssen.
Vielleicht wird dieser 3.Schritt eine lange Zeit in weiter Ferne liegen, doch solange ich auf dem Weg dahin bleibe, kann Gott an mir wirken. 

Jesus richtet auch unseren inneren Kompass neu aus. Wer ist der oder die Wichtigste? Wer sich hinten anstellt und für die ein Auge hat, die Hilfe brauchen. Wer sich nicht zu schade ist für die niederen Aufgaben und einfach anpackt, wo es nötig ist. Wer seine Fähigkeiten nicht für sich behält, sondern sie großzügig austeilt wie ein Sämann, der sein Saatgut nicht hortet, sondern damit Neues pflanzt.
Wie funktioniert Gemeinschaft? Wenn wir unsere Begrenztheit und Abhängigkeit erkennen, unsere Verletzungen nicht archivieren, sondern sie heilen lassen durch Vergebung.

Jesus ist dabei, er schart uns um sich und gibt uns, was wir brauchen.

Cornelia Trick


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Verantwortlich Dr. Ulrich Trick, Email: ulrich@trick-online.de
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