Runter vom hohen Ross (Lukas 7,36-50)
Gottesdienst am 23.10.2016 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
vor ein paar Tagen unterhielten wir uns im ökumenischen Arbeitskreis, wie wir Menschen dazu einladen könnten, im Lutherjahr die Bibel zu lesen. Wir waren uns einig, dass viele unserer Mitmenschen mit einer großen Sehnsucht im Herzen herumlaufen. Sie brauchen jemand, der ihre Sorgen teilt, ihre Einsamkeit ausfüllt, ihren Schmerz stillt. Sie haben die Route für ihr Leben verloren und suchen Orientierung, wer kann sie ihnen geben? Jesus bietet sich an, er will da sein und helfen, das Leben auf die Reihe zu bringen. Das ist die Botschaft der Bibel. Vielleicht müssen wir selbst einen genaueren Blick in die Bibel werfen, von Jesus selbst lernen, bevor wir andere dazu ermutigen, die Bibel in die Hand zu nehmen. Als Lernende, die Antworten aus der Bibel bekommen, sind wir glaubwürdig, wenn wir von der Bibel und Jesus reden.

Wer Jesus ist, bringt eine Situation im Leben Jesu zur Sprache. Jesus war mit seinen Jüngern in Galiäa unterwegs. Er erzählte ihnen von Gottes neuer Welt, wandte sich Menschen in Not zu und traf auf Leute, die wissen wollten, ob er der erwartete Messias sei. „Ja“, gab er ihnen zur Antwort, „Seht ihr denn nicht? Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf und Arme hören, dass Gott sie liebt.“ Nicht nur die Männer am Weg fragten Jesus, wer er sei, auch die führenden Glaubensmänner wollten wissen, ob Jesus und seine Bewegung nur vorübergehende Mode war oder eine ernstliche Bewegung.

Einer von ihnen war Simon, seine Stellung wäre heute mit einem Superintendenten vergleichbar. Er schien ein weltoffener Mann gewesen zu sein, der um die praktischen Herausforderungen wusste. Er war interessiert an Strömungen der Zeit. In seinem Haus spielte sich die folgende Szene ab:

Lukas 7,36-50

Ein Pharisäer hatte Jesus zum Essen eingeladen. Jesus ging in sein Haus und legte sich zu Tisch. In derselben Stadt lebte eine Frau, die als Prostituierte bekannt war. Als sie hörte, dass Jesus bei dem Pharisäer eingeladen war, kam sie mit einem Fläschchen voll kostbarem Salböl. Weinend trat sie an das Fußende des Polsters, auf dem Jesus lag, und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Mit ihren Haaren trocknete sie ihm die Füße ab, bedeckte sie mit Küssen und salbte sie mit dem Öl. Als der Pharisäer, der Jesus eingeladen hatte, das sah, sagte er sich: »Wenn dieser Mann wirklich ein Prophet wäre, wüsste er, was für eine das ist, von der er sich da anfassen lässt! Er müsste wissen, dass sie eine Hure ist.« Da sprach Jesus ihn an: »Simon, ich muss dir etwas sagen!«
Simon sagte: »Lehrer, bitte sprich!« Jesus begann: »Zwei Männer hatten Schulden bei einem Geldverleiher, der eine schuldete ihm fünfhundert Silberstücke, der andere fünfzig. Weil keiner von ihnen zahlen konnte, erließ er beiden ihre Schulden. Welcher von ihnen wird ihm wohl dankbarer sein?« Simon antwortete: »Ich nehme an: der, der ihm mehr geschuldet hat.«
»Du hast Recht«, sagte Jesus. Dann wies er auf die Frau und sagte zu Simon: »Sieh diese Frau an! Ich kam in dein Haus und du hast mir kein Wasser für die Füße gereicht; sie aber hat mir die Füße mit Tränen gewaschen und mit ihren Haaren abgetrocknet. Du gabst mir keinen Kuss zur Begrüßung, sie aber hat nicht aufgehört, mir die Füße zu küssen, seit ich hier bin. Du hast meinen Kopf nicht mit Öl gesalbt, sie aber hat mit kostbarem Öl meine Füße gesalbt. Darum sage ich dir: Ihre große Schuld ist ihr vergeben worden. Eben deshalb hat sie mir so viel Liebe erwiesen. Wem wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe.« Dann sagte Jesus zu der Frau: »Deine Schuld ist dir vergeben!« Die anderen Gäste fragten einander: »Was ist das für ein Mensch, dass er sogar Sünden vergibt?« Jesus aber sagte zu der Frau: »Dein Vertrauen hat dich gerettet. Geh in Frieden!«

Simon wollte Jesus nicht fertigmachen. Er suchte nicht die Konfrontation, eher wollte er sich in entspannter Atmosphäre mit ihm austauschen. Dabei waren vielleicht ein paar Kollegen, mit denen er sich dann hinterher, wenn Jesus gegangen wäre, ein Meinungsbild gemacht hätte. Doch bevor die beiden nur ein Wort wechselten, schien das Urteil Simons schon festzustehen. Als die stadtbekannte Prostituierte ihr gemeinsames Essen störte und sich Jesus so auffällig praktisch an den Hals warf, war für Simon klar: Dieser Jesus hatte wohl keinen Durchblick, dass er das Offenkundige nicht sah. 

Jesus kann wohl Gedanken lesen, denn er erzählt Simon eine Geschichte, die ihn entlarvt. Jesus stellt die Dankbarkeit der Frau in Relation zu ihrer Gotteserfahrung. Sie hatte erfahren, dass Gott sie befreite aus den Zwängen und der Erniedrigung ihres Lebenswandels, ihre Freude und Dankbarkeit ist dementsprechend überschäumend – befreit aus dem Gefängnis. Simon dagegen zeigt durch sein Verhalten wenig Dankbarkeit. Er kennt dieses Gefühl der Befreiung wohl nicht. Hat er nichts mit Gott erlebt? Hat er nie erfahren, wie ihm vergeben wurde?

Dabei beim Gastmahl

Im Geiste setze ich mich auf die Stühle der Hauptakteure bei diesem Abendessen.

Ich schlüpfe in die Rolle des Simon. Meine Beziehung zu Gott ist eher professionell. Ich weiß um die Glaubenssätze, kenne Antworten auf viele Fragen nach dem Woher und Warum. Kann anderen erklären, wie Gott die Welt regiert. Meine Beziehung zu Gott ist vergleichbar mit der zu meiner Zahnärztin. Zum regelmäßigen Check und wenn ich Zahnschmerzen habe, gehe ich hin. Aber möglichst selten, deshalb putze ich auch sehr regelmäßig die Zähne. Ich erwarte, dass die Ärztin mir im Bedarfsfall hilft und zahle auch die Rechnung, die ja meistens postwendend kommt. Klar bin ich ihr dankbar, hätte mir ja nicht allein helfen können. Aber so richtig dankbar mit Blumenstrauß und Pralinen eher nicht. Ist doch ihr Job, mir zu helfen, denke ich. Und wenn sie mir nicht hilft, wird es jemand anders tun.

Ich setze mich zu Jesu Füßen auf den Boden, dort wo die Frau sitzt. Ich fühle mich ein in ihr Leben. Sie wird ausgenutzt, hängt wahrscheinlich an einem Zuhälter, kann ihm nicht entrinnen. Sie ist gesellschaftlich geächtet, lebt im Schatten, keiner will mit ihr im öffentlichen Leben gesehen werden. Vielleicht hat sie auch Schulden, ist dadurch noch abhängiger und verletzlicher. Sie hat offenbar Jesus vorher schon zugehört. Ihr ist sein Wort ins Herz gefallen: Gott liebt dich, Gott gibt dir Freiheit. Egal, wie tief du im Sumpf verstrickt bist, es wird einen Ausweg geben. Die Mächte dieser Welt sind schon angezählt.

Wie würde ich mich fühlen bei einer solchen Wertschätzung? Noch ist ja nicht wirklich was anders geworden. Die Schulden drücken immer noch, der Zuhälter wartet draußen. Aber die Frau hat sich verändert. Sie weiß um ihren Wert und sie vertraut, dass Jesus ihr hilft, einen neuen Weg zu gehen. Kann ich nachfühlen, wie diese Frau empfunden hat? Wohl nicht in ganzer Tiefe, aber ansatzweise schon. Da habe ich manches falsch angepackt, falsch eingeschätzt, hab falsch reagiert. Es hätte ins Chaos führen können. Und ich habe Jesus erlebt, der meine Hand gehalten und mich in eine andere Richtung gezogen hat. Es war nicht alles gleich wieder gut, aber ich bekam die Kraft, etwas zu verändern, meinen Blick auf Neues einzustellen, mir vergeben zu lassen und selbst zu vergeben. Diese Erinnerungen verbinde ich mit der Frau zu Jesu Füßen, und tiefe Dankbarkeit erfüllt mich auch. Aus eigenen Stücken hätte ich es nicht geschafft.

Begeistert von Jesus oder Geschäftsbeziehung?

Wo sitze ich öfter? Auf Simons Platz oder auf dem Boden? Sitze ich auf Simons Stuhl, dann ist eigentlich keine Beziehung zu Jesus nötig. Ich weiß über alles Bescheid und führe mein Leben dementsprechend. Eine solche Haltung hat keine Ausstrahlung, ist Geschäftsbeziehung. Dagegen auf dem Boden, da bin ich mit Jesus verbunden, da wird die Beziehung lebendig, da wird meine Ausstrahlung als Christin echt.

Das ist wohl der Grund, warum der Evangelist Lukas diese Geschichte in sein Werk aufgenommen hat. Er will Mut machen, die geschäftliche Ebene zu verlassen und Jesus auch an das Eingemachte heranzulassen. 

Im ökumenischen Arbeitskreis fragten wir uns, wie wir Menschen für die Bibel und für Jesus begeistern können. Wahrscheinlich beginnt die Begeisterung bei uns selbst. Wagen wir es, uns Jesus so zu nähern, dann werden wir seinen Frieden erleben, einen Ort der Heimat, den er der Frau und auch uns zuspricht. 

Wem glaubt man heute? 

Wohl eher nicht den Simons, die Richtigkeiten von sich geben, ohne sie selbst erlebt zu haben. Man glaubt wohl eher den Männern und Frauen, die um verzweifelte Lebensführungen wissen und aus Erfahrung ihren Glauben bezeugen.

Man glaubt heute auch gerne dem Schwarm. Wo viele sind, da kommen noch welche dazu. Wo sich in einer Bäckerei eine Schlange vorm Tresen bildet, da müssen die Brötchen besonders gut sein. Es ist deshalb nicht nebensächlich, wie wir uns als Gemeinde verhalten. Jesus will Gemeinde als einen Ort, an dem Gottes Gegenwart erfahren wird, und dazu gehören nicht nur das Gebäude, die Kirchenmusik und die Heizung, sondern vor allem Menschen mit Liebe zu Jesus im Herzen. Kommt jemand hierher, dann wäre es schön, er würde viele antreffen, die diese Dankbarkeit für Jesus leben und die ihn oder sie ermuntern, es auch zu versuchen.

Und gemeinsam sind wir stärker, um diesem Menschen zu helfen, die Gefängnisse seines Lebens auch wirklich zu verlassen und neu zu beginnen. So haben das wohl auch damals die Anhänger Jesu getan, die vermutlich diese Frau in ihre Gemeinschaft aufgenommen haben, damit sie den Fängen des alten Lebens entkommen konnte.

Cornelia Trick


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