Menschen im Advent (Lukas 2,25-32+36-38)
Gottesdienst für den 20.12.2020 in Brombach, wegen des Lockdowns ohne anwesende Gemeinde

Liebe Gemeinde,
in meinem Andachtsbuch las ich dieser Tage ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer. Er meinte, in der Gefängniszelle zu sitzen, in der er sich gerade befand, wäre wie Advent. Man wartet und hofft, dass die Tür von außen geöffnet wird. Dietrich Bonhoeffer wartete auf Gott, dass er ihn rettete aus der Hand der Nationalsozialisten, dass Gott von außen eingriff.

So existenziell, vom Tod bedroht, warten wir wahrscheinlich nicht auf Gottes Kommen in unsere Situation, aber die Sehnsucht nach Hilfe von außen ist doch gegenwärtig. Wir hoffen auf einen Impfstoff, der uns vor Covid-19 schützt und uns zu normalem gemeinschaftlichem Leben zurückkehren lässt. Wir hoffen, dass es wieder wird wie früher. Wir hoffen auf eine offene Tür in die Zukunft.

Advent ist Wartezeit auf Gottes Kommen in die Niederungen unseres Lebens und unserer Welt. Dass Gott die Gefängnistüren aller Art aufreißt und uns in die Freiheit führt.

Auf Gottes Kommen warteten zwei alte Menschen in Jerusalem, die uns das Lukasevangelium vorstellt, Simeon und Hanna. Wir erfahren etwas von ihrer Lebensführung und vor allem von ihrer Begegnung mit Jesus.

Lukas 2,25-32+36-38
Und siehe, ein Mensch war in Jerusalem mit Namen Simeon; und dieser Mensch war gerecht und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war auf ihm. Und ihm war vom Heiligen Geist geweissagt worden, er sollte den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. Und er kam vom Geist geführt in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis deines Volkes Israel. Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser. Sie war hochbetagt. Nach ihrer Jungfrauschaft hatte sie sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt und war nun eine Witwe von vierundachtzig Jahren; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

Maria und Josef
Jesu Eltern hielten sich an die Vorschriften und gingen mit dem kleinen Jesus zum Tempel. Der Erstgeborene gehörte nach jüdischem Gesetz Gott. So brachten sie ihn im Tempel Gott dar, eine Symbolhandlung. Ohne es zu wissen, handelten sie vorausschauend. Jesus gehörte nicht nur als Erstgeborener zu Gott, sondern war der Sohn Gottes selbst. Hier im Tempel war sein wahres Zuhause, nicht im Stall von Bethlehem oder in Nazareth, wo er später aufwuchs. 

Schon 40 Tage nach der Geburt begann die Ablösung von seiner leiblichen Familie. Der Vater im Himmel zog ihn in seine Gegenwart. Er gab Jesus eine Aura, die andere auf ihn, den Säugling, aufmerksam werden ließen.

Simeon
Der Name Simeon bedeutet „Erhörung“, so stellen wir uns Simeon auch vor. Ein Mann, der auf Gott hörte, der sensibel für Gottes Zeichen war und von seinem Geist geleitet wurde. Lukas beschreibt, dass auf Simeon der Heilige Geist lag. Ich stelle mir vor, der Heilige Geist umgab ihn wie ein Lieblingskleidungsstück, das er jeden Tag voller Freude trug. Er musste Gott nicht erst suchen oder einen Ort finden, wo er Gott begegnen konnte. Gott war mit seinem Heiligen Geist immer mit ihm. 

Simeons Lebensinhalt war, auf den „Trost Israels“ zu warten. Er wollte diesen Trost nicht für sich selbst, sondern für Israel. Er hoffte, dass Gott seine Leute, die er herausgeliebt hatte, wieder aufsuchen würde, dass er auch sie wie ein warmer Mantel umgab und sie mit ihm in Kontakt waren. Trost verstehe ich so: nicht mehr allein und orientierungslos zu sein, sich gehalten und geführt zu wissen, eine Zukunftsperspektive zu haben, die aus der politischen Unterdrückung und Krise herausführt.

Die Wege von Simeon und der kleinen Familie kreuzten sich. Simeon erkannte in Jesus den erwarteten Trost Israels. Er empfing ihn aus Marias Armen und pries Gott. Nicht nur er selbst hatte in Jesus das Licht Gottes gesehen, sondern dieses Licht, Jesus, leuchtete nun in die ganze Welt. Er hatte ein Leben lang auf dieses Licht Gottes gewartet, nun war er bereit zu sterben.

Simeon leitet uns an, in seine Rolle in der Geschichte Israels zu schlüpfen, dass wir wie er zu Wartenden und Hörenden werden.

Vielleicht warten wir darauf, dass Gott unsere persönlichen Grenzzäune öffnet. Dass er uns tröstet und uns gewiss macht, dass es einen Ausweg gibt. Vielleicht warten wir darauf, dass Gott uns heilt. Nicht nur um Krankheiten geht es, auch um kranke Beziehungen, unversöhnliche Gräben zwischen Menschen, unvereinbare Ansichten, wie wir das auch jetzt gerade in der Corona-Zeit erleben. Mit unserer eigenen Kraft sind wir da schnell am Ende, können diese Verwerfungen nicht überwinden. Da braucht es Gott, der die Türen von außen öffnet und Gräben zuschüttet. 

Simeon empfing Jesus, nahm ihn in die Arme. Ja, das ist wohl die Geste, mit der wir Jesus auch gegenübertreten sollten, ihn in die Arme schließen, ihn einladen ins eigene Leben, ihm darin Wohnrecht geben.

Wenn Jesus in unseren Armen ist, beschenkt er uns mit seinem Heiligen Geist. Wir bekommen Impulse für den richtigen Moment für einen ersten Schritt oder eine klärende Aussprache. Wir werden durch Jesus verändert und selbst zu Adventsmenschen.

Hanna
Hanna war laut biblischem Zeugnis eine hochbetagte Beterin. Auch sie lebte ganz mit Gott, wohnte fast im Tempel. Sie erkannte wie Simeon in Jesus Gottes Kommen, seinen Trost und sein Licht. Von ihr berichtet Lukas, dass sie zur ersten Predigerin von jesus, des menschgewordenen Gottes, wurde. Allen, die sich im Tempel aufhielten und Gott ihr Herz ausschütteten, berichtete sie: Gott ist da. Er erhört und erlöst euch. Ihr seid Kinder Gottes, was kann euch da noch passieren?

Schlüpfen wir in Hannas Rolle, spüren wir ihre Freude über Jesus. So lange hatte sie auf ihn gewartet, Gott gebeten, dass er sich zeigt, und nun sieht sie dieses Baby und weiß, dass hier Gott selbst gekommen ist. Davon erzählt sie den Leuten.

Vor zwei Wochen las ich einen Artikel in der „Zeit“. Eine Frau beschrieb ihren geistlichen Werdegang, wie sie als Kind mit ihren Eltern selbstverständlich in die Kirche ging, doch dieser Glaube sich im Erwachsenwerden verloren hatte. Seitdem ist sie auf der Suche nach Antworten. Sie würde sie gerne von Christen bekommen. Doch die schweigen, niemand fordert sie heraus, bemüht sich um sie, signalisiert ihr, dass er oder sie ihr den Glauben an Jesus Christus nahebringen will. 

Dieser Artikel machte mich nachdenklich. Hanna erzählte allen um sie herum, dass sie Jesus gefunden hatte und dass dieser Jesus auch für die anderen wichtig war. Brennt in mir auch eine solche Leidenschaft, anderen von Jesus zu erzählen? Ja, wahrscheinlich bin ich sogar leidenschaftlich für Jesus, aber ich möchte mich niemand aufdrängen, keine negativen Klischees von missionierenden übereifrigen Christen bedienen, nicht den Eindruck erwecken, übergriffig zu sein. Dabei verfalle ich leicht ins Gegenteil. Die vornehme Zurückhaltung wirkt wie Desinteresse. Als ob Christsein sich nur in geschlossenen Kirchenräumen abspielt und wir nur unter uns bleiben.

Hanna lehrt mich, meine Umgebung in den Blick zu bekommen und mutiger die Fragen des Lebens anzusprechen. Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Was erwartest du vom Leben, und wohin gehst du, wenn du Probleme hast? Was gibt dir Hoffnung, und wer schützt dich?

Als Hanna würde ich sagen: Ich bin glücklich, dass Jesus mir begegnet ist und ich weiß, er sieht mich, lässt mich nicht los und führt mich über diese ungewisse, hügelige Lebensstrecke. Auch wenn ich den Sinn von manchen Wegführungen nicht erkennen kann, auch wenn mir das Gehen schwerfällt und ich mir nicht vorstellen kann, wo das alles noch einmal enden soll, dann bin ich gewiss: Es endet in Jesu Armen, der mich in die neue Welt Gottes trägt. So hat das Hanna bezeugt und mit ihr Simeon:
Herr, jetzt kann dein Diener in Frieden sterben, wie du es versprochen hast.“ (Vers 29, BasisBibel)

Simeon und Hanna waren Menschen des Advents, in ihren Fußstapfen werden wir auch zu Menschen im Advent, die den Heiligen Geist wie ein Lieblingskleidungsstück tragen und die Impulse Gottes hören. Welch ein Geschenk.

Cornelia Trick


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