Liebe leben lernen (1.Johannes 4,7-12)
Gottesdienst am 17.3.2019 in Brombach

Liebe Gemeinde,
eine Sitzung führte mich in den Hunsrück nach Simmern, es war noch Zeit, so machte ich einen kleinen Spaziergang. Dabei stieß ich auf den Bahnhof, doch die dazugehörigen Gleise waren von Grünzeug überwuchert, Schienen mit Bäumendas Bahngebäude hatte längst eine andere Verwendung gefunden, und „Bahnhof“ war die Haltestelle für Busse. Diese stillgelegten Gleise hatten zu mir gesprochen. Längst war kein Zug mehr gefahren, obwohl eigentlich alles Notwendige vorhanden war.

Die Gleise könnten auch für eine Gottesbeziehung stehen. Fließt noch Liebe hin und her zwischen Gott und den Menschen und den Menschen untereinander? Oder sind die Gleise überwuchert?

Das Thema der diesjährigen Kinder-helfen-Kindern-Sammlung greift dieses Bild auf. Der Vorbereitungskreis der Sammlung schlug einen Bibelabschnitt vor, der zum Nachdenken einladen soll. „Gott ist die Liebe“, deshalb wird für Kinder in Brasilien gesammelt. „Gott ist die Liebe“, was verbinden wir mit dieser Aussage? „Gott ist die Liebe“, das werden wir hoffentlich erfahren, wenn wir uns auf das Projekt einlassen und es unterstützen.

Der 1.Johannesbrief richtet sich an eine Gemeinde, in der einige die Augen vor der Not der anderen verschließen. Johannes schärft ein, dass Glauben und Leben in der Liebe zusammengehören. Hier ist das Herzstück des 1.Johannesbriefes, vielleicht sogar der ganzen Bibel, beleuchtet:

1.Johannes 4,7-12
Ihr Lieben, wir wollen einander lieben. Denn die Liebe kommt von Gott. Und wer liebt, hat Gott zum Vater und kennt ihn. Wer nicht liebt, kennt Gott nicht. Denn Gott ist Liebe. So ist Gottes Liebe bei uns sichtbar geworden: Gott sandte seinen einzigen Sohn in die Welt, damit wir durch ihn das Leben bekommen. Die Liebe besteht nicht darin, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat. Er hat seinen Sohn gesandt, der für unsere Schuld sein Leben gegeben hat. So hat er uns mit Gott versöhnt. 
Ihr Lieben, wenn Gott uns so sehr geliebt hat, dann müssen auch wir einander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Aber wenn wir einander lieben, ist Gott in uns gegenwärtig. Dann hat seine Liebe in uns ihr Ziel erreicht.

Gott ist Liebe
Diese Wahrheit könnten wir vielleicht alle unterschreiben. Gott ist die Liebe, viele Lieder handeln davon. Woher wissen wir das? In der Bibel finden wir viele Geschichten, die von Gottes Zuwendung zu Armen, Unterdrückten und Verfolgten handeln. Wir lesen von Gottes Mitgehen, wenn seine Leute Fehler gemacht haben. Wir entdecken Gottes Willen, aus Bösem Gutes werden zu lassen, neu anzufangen, immer wieder die Hand zu reichen, um aus dem Elend aufzuhelfen.

Jesus erzählte Gleichnisse von Verlorenem und Gefundenem, vom kleinen Anfang und großen Wachstum, von Sauerteig, der eine ganze Teigschüssel durchsäuert.

Aber nicht nur die Bibel, sondern auch die eigene Erfahrung lässt den Schluss zu, dass Gott die Liebe ist. Ich möchte diese Erfahrungen als „göttliche Berührungen“ bezeichnen. Da bin ich haarscharf vor einem Unfall bewahrt worden, ein Kind ist geboren, ein Weg hat sich unverhofft geöffnet, eine Beziehung ist trotz schwieriger Zeiten wieder gerettet, alles Situationen, in denen wir so deutlich merken, dass es nicht unsere Fähigkeit war, die Neues hat werden lassen, sondern Gottes Hand. Gott hat uns gesehen, war aufmerksam und hat spüren lassen, dass wir nicht allein waren.

Diese Erfahrungen müssen wir lesen lernen, sonst rauschen sie an uns vorbei, ohne dass wir sie wahrnehmen. Mit den Jugendlichen des Kirchlichen Unterrichts mache ich gerade bei einem Projekt der Herrnhuter Losungen mit, jeder von uns liest täglich die „Losung für junge Leute“ und macht sich Notizen zum Tag. Wir schauen im Kirchlichen Unterricht unsere Eintragungen der letzten Tage an und stellen meistens erstaunt fest, was Gott in diesen paar Tagen schon bewirkt hat, wie viele Anliegen erhört wurden. Wir geben uns gegenseitige Sehhilfe, um Gottes Berührungen deutlicher zu spüren. Auch wir als Gottesdienstgemeinde sind dafür da, einander Sehhilfe zu geben und uns darin zu stärken. Wir brauchen den Bruder oder die Schwester, die mit uns auf unser Leben schaut und Jesu Fußspuren entdeckt.

Gottes Liebe führt zur Nächstenliebe
Berührt von Gott werden wir zu Liebenden. In einer Beispielgeschichte erzählt Jesus von einem Mann, der überfallen wurde und hilflos auf dem Weg liegt. Erst geht der eine an ihm vorüber, dann der andere, schließlich hilft einer, der eigentlich gar nicht für den Überfallenen zuständig war, der barmherzige Samariter. Er liest den Verletzten auf, bringt ihn zu einem Gasthof und bezahlt für seine Pflege, bevor er seinen Weg fortsetzt. Wir können an dieser Geschichte vier Handlungsmuster entdecken und lernen:

  • Sich unterbrechen lassen: Um die Liebe Gottes fließen zu lassen, muss ich mir bewusst machen, dass diese Liebe nicht nur dann gefordert ist, wenn ich gerade Zeit dafür oder mir das Helfen gerade vorgenommen habe. Oft bedeutet den Nächsten zu lieben, meinen normalen Ablauf abzuändern, meine Pläne über den Haufen zu werfen und den Nächsten zum Thema zu machen.
  • Die Not des anderen erkennen: Es liegen ja immer mal wieder Menschen am Wege. Vielleicht schlafen sie ihren Rausch aus? Brauchen sie überhaupt Hilfe? Wenn ich genau hinschaue, merke ich schon, ob der andere besoffen ist oder sich vor Schmerzen krümmt. Und dann bin ich dran, muss mich kümmern und kann mich nicht mehr herausreden. Nächstenliebe heißt, die Brille aufzusetzen und die Menschen wirklich anzuschauen und sie nicht nur oberflächlich zu studieren.
  • Spontan helfen: Können Sie sich an eine spontane Hilfeleistung in der letzten Woche erinnern? Mir kommen vor allem Hilfeleistungen von anderen in den Kopf – wie mein Kollege seine Taschentücher sofort aus der Tasche zog, als ich den Sprudel weiträumig auf dem Tisch verschüttete, wie jemand mir eine schwere Kiste aus der Hand nahm, um sie die Treppe hochzutragen, solche Alltagsbegegnungen, die für mich nicht selbstverständlich waren. Und ich, habe ich anderen auch spontan geholfen? Ich hoffe es.
  • Strategisch helfen: Der Samariter pflegte den Überfallenen nicht selbst. Er gab dem Wirt Geld, dass der sich um ihn kümmerte. Das ist für mich ein wichtiger Gesichtspunkt. Unsere Nächstenhilfe braucht auch Planung und langfristige Perspektiven. 
Der Samariter wird zu Augen und Ohren Jesu. Er handelt in seinem Auftrag und wird dabei selbst Gott erleben. Er ist Vorbild für uns. Wir sollen Gott im Handeln am Nächsten erkennen. Das ist nicht nur auf Überfallene zu beziehen, sondern auf die Menschen, die Gott uns in den Weg stellt und legt.

Wir sollen uns unterbrechen lassen, aufmerksam unsere Mitmenschen wahrnehmen. Wir sollen angemessen reagieren. Wir sollen es uns etwas kosten lassen. Hilfe ist selten umsonst. 

Die Gemeinde des 1.Johannesbriefes hat an dieser Stelle versagt. Die Reichen hatten sich von den Armen nicht unterbrechen lassen, sie haben nicht angemessen reagiert, keine Hilfe organisiert und ihr Geld festgehalten. Dagegen schreibt Johannes und erinnert die Gemeinde an Gott, der Liebe ist und Liebe wirkt, damit die Liebe zu anderen fließt.

Unsere Themen
Für die Kinder in Brasilien können wir nicht viel mehr tun, als Geld zu spenden, damit Hilfsprojekte für sie laufen können.

Aber vielleicht kennen Sie jemand, der Ihnen gerade das Leben schwer macht. Sie fühlen sich angegriffen und verletzt, obwohl Sie nichts Böses getan haben. Aus dem Nichts sind böse Pfeile direkt in Ihr Herz geflogen.

Mir hat es neulich geholfen, eine solche Situation mit Mensch-ärger-dich-nicht-Figuren nachzuspielen. Dabei habe ich Erstaunliches entdeckt. Ja, der Gegner könnte meine Absicht auch anders verstanden haben, nicht als eine einfache Aussage, sondern als Angriff und Kritik. Er könnte auch mein Verhalten anders gedeutet haben, als Ablehnung oder Gleichgültigkeit ihm gegenüber. Und kein Wunder hat er dann so reagiert. Mein Herz wurde dabei um einige Zentimeter weiter, und ich spürte, wie da wieder ein Gefühl von Verbundenheit war, das vorher ganz erstarrt schien. 

Nicht immer ist es so einfach. Sich in die Schuhe eines Missbrauchenden zu stellen, scheint unmöglich. Es gibt Verhalten, für das die Phantasie fehlt, Unrecht, das man einfach nicht verstehen kann und das Nächstenliebe unmöglich macht. Zwar gebot Jesu, dass wir sogar unsere Feinde lieben sollen, aber das gelingt nie aus eigener Kraft, sondern nur mit ihm. Wir werden meistens scheitern und werden uns bewusst, wie sehr wir auch Jesu Vergebung brauchen. Solche Erfahrungen machen demütig. Wir bleiben hinter Jesu Anspruch zurück, können ihm diese Menschen abgeben. Auch wenn ich nicht lieben kann, wird Gott mit diesem Menschen doch zum Ziel kommen, wie auch immer. 

Hier im 1.Johannesbrief sind nicht die großen Lebensschicksale beschrieben, sondern das Alltagsleben: die einen haben den Kühlschrank voll, und die anderen drehen schon am 20. den Euro um. Und beide Parteien leben in einer Gemeinde.

Gott ist Liebe, das wird sichtbar im Umgang miteinander, im Verhalten heute und morgen. Sind die Schienen der Liebe Gottes stillgelegt oder wird auf ihnen Liebe transportiert? Gerade da, wo es nicht selbstverständlich ist, können wir uns unterbrechen lassen, den anderen wahrnehmen, angemessen reagieren und es uns etwas kosten lassen. Nicht mehr und nicht weniger tut Gott für uns.

Cornelia Trick


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