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Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
Im Johannesevangelium sind die ersten Worte, die Jesus selbst spricht: "Was sucht ihr?" Damit gibt Johannes seinem Evangelium die Überschrift. Man kann das Evangelium lesen wie eine Dokumentation über ein geschichtliches Ereignis, das nichts mit der Gegenwart und schon gar nicht mit dem eigenen Leben zu tun hat. Man kann das Evangelium aber auch hören und lesen als eine Antwort auf die innerste Frage: Was suche ich? Wen suche ich? Und wo kann ich finden? Wir werden eingeladen, nicht nur die historischen Daten des Lebens Jesu zu erfahren, sozusagen die erste Seite der Tageszeitung, sondern die Deutung, den Kommentar auf Seite 3, zu lesen und ihn auf das eigene Leben zu beziehen. "Was suchst du, was sucht ihr?" ist Anfrage an uns, auf die wir antworten sollen. An den Anfang des Berichtes über Jesus, den Gottessohn, stellt Johannes nicht die Geburtsgeschichte, sondern die Offenbarung des Gottessohnes, wie er vom Vater im Himmel auf die Erde gesandt wurde, um den Menschen Licht Gottes zu bringen. Jesus wird eingeführt als Himmelsöffner, der den Blick auf Gott ermöglicht und Gottes Liebe in diese Welt kommen lässt. Johannes der Täufer tritt als Zeuge Jesu auf die Bühne. Er sagt von Jesus, der auf ihn zukommt: "Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Dieser ist Gottes Sohn und wird mit dem Heiligen Geist taufen." Das Zeugnis Johannes des Täufers steht über den nachfolgenden Ereignissen. Jesus ist Gottes Sohn. Er vergibt Sünden. Er schenkt neues Leben. Das ist seine Aufgabe. Komm und sieh!
Zwei Johannes-Jünger hören das Zeugnis von Johannes dem Täufer über Jesus. Sie fühlen sich aufgefordert, Jesus zu folgen, denn sie sind Suchende. Ihr Zusammenleben mit dem Täufer kann ihre Sehnsucht nicht befriedigen. Sie warten auf den einen, der ihre Sehnsucht stillen kann. Jesus erkennt ihre Sehnsucht. Er fragt sie direkt "Was sucht ihr?" Aus ihrer Antwort hören wir heraus, dass sie Heimat, eine Bleibe, einen Ort zum Investieren suchen. Jesus präsentiert ihnen keine fertige Antwort. Er sagt ihnen nicht, wer er ist und welche himmlische Herberge er anzubieten hat, sondern lädt sie ein zum Kommen und Sehen. Er möchte sie hinein nehmen in seine Gemeinschaft, um ihn selbst kennen zu lernen. Was suche ich? Suche ich auch einen Ort, an dem ich zuhause und geborgen sein kann? Suche ich ein Aufgabenfeld, das meine Mühen lohnt? Suche ich Gemeinschaft mit einem Menschen, der mich wirklich versteht und liebt, mein Innerstes kennt und lieb hat? Jesus lädt mich ein, zu ihm zu kommen und bei ihm zu bleiben, denn - so wird es im Johannesevangelium weiter entfaltet:
Du sollst Kephas heißen!
Der Zeuge Johannes führt zwei seiner Nachfolger zu Jesus, einer von ihnen lädt seinen Bruder Simon zu Jesus ein. Sein Zeugnis ist einfach "Wir haben den Messias gefunden". Er findet Antwort auf seine Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit. Können wir Jesus auch so einfach bezeugen? Ist unsere Sehnsucht nach mehr Leben auch durch Jesu Gegenwart gestillt? Und noch mal zu der Eingangsfrage: Was suchst du? Können wir antworten: Jesus, und den habe ich gefunden? Das Zeugnis allein lässt Simon noch nicht zu einem Jünger Jesu werden. Er glaubt an Jesus als Antwort auf seine Sehnsucht erst, als Jesus ihm selbst begegnet. Ich ertappe mich selbst oft dabei, wie ich Menschen von Jesus überzeugen will, die ihm noch nicht begegnet sind. Ich sammele Argumente, bringe Beispiele, meine, dass meine Überzeugungskraft reichen müsste, um jemand zu bewegen, Jesus in sein Leben aufzunehmen. Aber ich merke, wie mir das nicht gelingt. Meine Argumente sind alle widerlegbar. Zu jeder Gotteserfahrung gibt es mindestens ein Gegenbeispiel. Und am Ende des Gesprächs gehen wir auseinander, ohne dass der oder die andere nur einen Zentimeter näher zu Jesus gekommen ist. Ich möchte mich von Andreas ermutigen lassen, Jesus einfach nur zu bezeugen, wo er in meinem Leben geholfen hat, mich befreite, mir Perspektive eröffnete. Jesus selbst, der mein Gegenüber noch viel mehr liebt, als ich es je könnte, wird dieser Person selbst begegnen und sie ansprechen. Es ist seine Sache, Menschen in seine Nachfolge zu berufen. Für Simon öffnet sich nun die Zukunft. Offensichtlich sucht er nicht nach einem Ort der Geborgenheit, wie die beiden Johannesjünger, sondern nach einem Arbeitsplatz im Reich Gottes, der seinem Leben Sinn verleiht. Jesus sagt ihm in dieser ersten Begegnung bereits zu, dass er einmal der Fels der nachösterlichen Gemeinde sein wird. Diese Berufung ist für Simon Orientierungssignal. Wir wissen aus der biblischen Überlieferung, dass der Mann noch viele Irrungen und Wirrungen durchlaufen wird, bevor er bereit sein wird, die Jerusalemer Urgemeinde zu gründen. Doch die Beauftragung gibt ihm ein Ziel, um das er immer wieder kämpfen wird und das ihm die Umkehr aus Sackgassen und von gefährlichen Abhängen ermöglicht. Ich bin überzeugt, dass nicht nur Simon einen solchen Lebensauftrag bekommen hat, sondern dass Jesus auch jetzt auf die Frage nach dem Ort zum Investieren antwortet. Vielleicht ist es ein Bibelwort, dass sich immer wieder in den Vordergrund schiebt und zur Überschrift wird, vielleicht ist es ein Wunschtraum, der uns inspiriert und nach und nach Gestalt gewinnt. Vielleicht ist es ein Christ, der in uns sieht, was Jesus aus uns machen will, und uns ermutigt, die nächsten Schritte zu gehen. Was sucht ihr? Diese Frage stellt Jesus und möchte antworten. Folge mir nach!
Philippus wird von Jesus direkt angesprochen. Die Erwähnung seiner Herkunft aus der gleichen Stadt wie Andreas und Simon Petrus legt nahe, dass er vielleicht schon etwas von Jesus gehört hat. Doch Jesus tritt ihm direkt und ohne Vermittlung von Zeugen in den Weg. Berichtet der Evangelist von Philippus, weil er damit sagen will, dass Jesus keine Zeugen braucht, um Menschen zu sich zu rufen? Wird hier beispielhaft gezeigt, dass es unterschiedliche Arten der Berufung gibt? Die einen werden von Zeugen zu Jesus gebracht, andere werden von Jesus direkt gerufen? Ich denke an Paulus, dem Jesus unvermittelt auf dem Weg nach Damaskus begegnete, und an eine pakistanische Frau, deren Lebensgeschichte ich las. Sie ist auch mitten in ihrem Krankenzimmer von Jesus angesprochen worden, ohne, dass sie je von Jesus gehört hätte. Philippus lässt uns unsere Rolle bei der Vermittlung von Glauben in der richtigen Relation sehen. Jesus braucht uns nicht, aber er gibt uns die Chance, bei seinen Berufungen mitzuwirken, damit wir selbst etwas dabei lernen können. Was wir lernen können, wird nun an Philippus sehr deutlich. Er hält sich nicht lange bei Jesus auf, sondern wendet sich Nathanael zu und lädt ihn zu Jesus ein. Philippus hat kein Seminar für Evangelisation besucht. Er hat keinen Glaubenskurs absolviert und kein Dipolm in Rhetorik bekommen. Aber er probiert seinen neuen Glauben aus, indem er auf Nathanael zugeht und ihm weitergibt, was er von Jesus verstanden hat. Diese Chance haben wir auch. Jesus erfahren können wir besonders intensiv, wenn wir anderen von ihm erzählen und davon berichten, wie er unser Leben beeinflusst hat. Das ist ähnlich wie beim Mathe-Lernen in der Schule. Wenn man da das Gelernte den Mitschülern erklärt, merkt man, wo die eigenen Lücken sind und wird sicherer, als wenn man stundenlang für sich allein rechnet. Wem können wir erzählen, was Jesus mit uns gemacht hat? Wen kann das interessieren? Du wirst noch Größeres
sehen!
Nahanael wird wie der klassische Skeptiker beschrieben. Er wundert sich über Jesu Herkunft aus einer völlig unbedeutenden Stadt. Jerusalem, Rom oder Athen wären dem Sohn Gottes angemessen, aber das Provinznest Nazareth? Davon, so weiß Nathanael, steht nichts in den Heiligen Schriften. Doch Jesus überwindet die Skepsis Nathanaels. Er sieht durch die skeptische Fassade hindurch und erkennt, dass Nathanael sich darum bemüht, ein Leben zu führen, das vor Gott bestehen kann. Er sieht die Sehnsucht, die hinter Nathanaels Auftreten schlummert. Die Sehnsucht, von Gott angenommen zu werden, ein Ja Gottes zu seinem Leben zu hören und im Einklang mit Gottes Willen zu handeln. Er lässt die Skepsis des Nathanael gelten und setzt ihr die Menschenkenntnis Gottes entgegen, der weiß, wie es um Nathanael steht. Und Nathanael begreift, dass jemand, der ihn auf Anhieb so durchschaut und wert achtet, nur Gottes Gesandter und König sein kann. Nathanael bekommt nun seinen Glaubenskurs. Bleibt er bei Jesus, so wird er den offenen Himmel erleben, die bleibende Verbindung zwischen Jesus und seinem Vater im Himmel. Er wird wie Jakob damals Zeuge dafür sein, dass Gott zu den Menschen in alle Niedrigkeit herabkommt. Nicht nur so tief wie bei Jakob, zu einem Schwindler und Erbschleicher, sondern tief bis in den Tod am Kreuz. Aber er wird auch erfahren, dass der Himmel im Tod Jesu offen bleibt und Jesus zu seinem Vater auferstehen wird. Er wird Jesus vertrauen lernen, der ihn einmal mit in den Himmel holen wird, in das ewige Leben, das nicht mehr vom Tod begrenzt wird. Die Zeugenkette, die Johannes der Täufer anführte, reicht bis in unsere Tage. Verschieden sind die Wege, auf denen wir zu Jesus gekommen sind. Verschieden sind unsere Sehnsüchte, auf die Jesus Antwort gibt. Verschieden sind die Aufträge, die wir für unser Leben erhalten. Doch immer wird es darum gehen, zu Jesus zu kommen, ihn zu sehen und bei ihm zu bleiben, anderen davon zu erzählen, und dafür zu danken, dass der Himmel mit Jesu Auferstehung bleibend offen ist für die, die auf Jesus vertrauen. Cornelia
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