Jesus, berühre mich (Markus 5,24-34)
Gottesdienst für den 7.3.2021 in Brombach, wegen des Lockdowns ohne anwesende Gemeinde

Liebe Gemeinde,
schon einige Jahre lebt ein kleines Orangenbäumchen in unserem Haushalt. Die Winterwochen sind immer ein Problem. In den letzten Jahren fand das Bäumchen bei einer Freundin im Wintergarten Unterschlupf, aber nun wurde es zu groß für den Transport. Ich versuchte es selbst, durch den Frost zu bringen. Doch es hat leider stark gelitten und sieht nun richtig gerupft aus. Während der ersten Sonnentage inspizierte ich es mehrmals täglich. Zeigte sich da schon irgendwo erstes Grün? 

Was ich mit unserem Orangenbäumchen erlebe, ist ein gutes Beispiel für unseren Alltag. Haben wir da nicht auch solche dürren Bereiche, für die wir uns neues Leben erhoffen? Wünschen wir uns nicht auch, dass Notsituationen nicht ewig währen? Dass es von irgendwoher einen Schub nach vorne gibt?

Wir werden heute eine Frau am wohl entscheidendsten Tag ihres Lebens begleiten. Und wir werden an ihr sehen, wie Jesus sich um unsere ganz persönlichen Sehnsüchte kümmert, sie sieht und darauf reagiert.

Das Zusammentreffen Jesu mit dieser Frau fällt etwas aus dem Rahmen, denn vor Jesu Handeln gibt es kein Gespräch von Angesicht zu Angesicht, keine Bitte der Frau an Jesus, keine Frage, die Jesus an die Frau richtet, etwa die „Was soll ich für dich tun?“

Markus 5,24-34
Jesus ging mit Jaïrus. Die ganze Volksmenge folgte ihm und umdrängte ihn. Es war auch eine Frau dabei, die seit zwölf Jahren an Blutungen litt. Sie hatte bei vielen Ärzten viel durchgemacht und alles dafür ausgegeben, was sie besaß. Aber es hatte nichts genützt, sondern die Blutungen waren nur noch schlimmer geworden. Die Frau hatte von Jesus gehört. Sie drängte sich in der Volksmenge von hinten an ihn heran und berührte seinen Mantel. Sie sagte sich: »Wenn ich nur seinen Mantel berühre, werde ich gesund.« Im selben Augenblick hörte die Blutung auf. Sie fühlte in sich, dass sie von ihrem Leiden geheilt war. Jesus merkte sofort, dass Kraft von ihm ausgegangen war. Er drehte sich in der Volksmenge um und fragte: »Wer hat meinen Mantel berührt?« Seine Jünger antworteten ihm: »Du siehst doch, wie die Volksmenge sich um dich drängt. Und da fragst du: ›Wer hat mich berührt?‹ Doch Jesus sah umher, um festzustellen, wer es gewesen war. Aber die Frau fürchtete sich und zitterte. Sie wusste ja, was mit ihr geschehen war. Sie trat vor, warf sich vor ihm nieder und erzählte ihm alles. Er aber sagte zu ihr: »Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden. Du bist endgültig von deinem Leiden befreit.«

„Wenn ich nur seinen Mantel berühre“
Ausführlich wird die Krankengeschichte der Frau erzählt. Zwölf Jahre litt sie an fortwährenden Blutungen. Ihre finanziellen Ressourcen waren durch unzählige Behandlungen aufgebraucht. Da menstruierende Frauen als unrein galten und man sie nicht berühren konnte, ohne selbst mindestens bis zum Abend als unrein zu gelten, lebte sie allein und isoliert. Als Jesus, von dem sie schon gehört hatte, auftauchte und der Vater eines kranken Mädchens, Jaïrus, Jesus um Hilfe bat, stand sie außerhalb der Menge. Sie musste sich erst einen Weg durch die Menschen bahnen. „Würde Jesus mir helfen können?“, so dachte sie vielleicht, „ach, könnte ich doch wenigstens einen Zipfel seines Mantels anfassen, vielleicht würden magische Kräfte von ihm überfließen.“

Zwei Aspekte fallen mir auf:
Das Vorgehen dieser Frau erinnert mich an manche Rituale. Im Petersdom steht eine Bronzestatue, die den Heiligen Petrus darstellt. Seit dem Mittelalter berühren Pilger den rechten Fuß und erhoffen sich davon Glück im Leben. Auch wir liefen an dieser Figur vorbei, der Fuß ist vor lauter Berührung schon fast unkenntlich geworden. Man erhofft, dass die Kraft Jesu, die in Petrus war, durch die Statue ins eigene Leben übergeht. Dachte auch die Frau damals so? Vielleicht, wir wissen es nicht.

Doch die Erzählung gibt uns noch eine andere Erkenntnis. Die Frau hatte vorher schon von Jesus gehört. Kurz vorher erzählte Jesus ein Gleichnis von einem Acker, auf dem Samen gesät wurden. Dreiviertel der Saat fielen auf unbrauchbaren Boden, ein Viertel ging auf und brachte viel Ernte. Der Samen, so Jesus, ist das Wort Gottes, das in Herzen fällt. Diese Frau, die hier ihren Weg zu Jesus suchte, hatte einen fruchtbaren Boden in ihrem Herzen. Sie hörte von Jesus und gewann Vertrauen zu ihm. Sie nahm es für sich persönlich, dass Jesus von der neuen Welt sprach, die mit ihm anbrach: dass sie eine geliebte Tochter Gottes war, obwohl ihre Krankheit sie ins Abseits stellte. Dass sie dem Guten Hirten folgen konnte, der sie auch durch tiefe Täler sicher führte. Und so näherte sie sich Jesus, um diese Verbindung zeichenhaft deutlich zu machen. Natürlich hoffte sie darauf, dass Jesus sie gesund machte. Zu dieser neuen Welt gehörte es ja, in der Gottesgemeinschaft zu sein und nicht außerhalb stehen zu müssen. So berührt die Frau den Saum von Jesu Mantel und nimmt damit das Beziehungsangebot Jesu an. Sie vertraut sich Jesus an, um die neue Welt Gottes zu erleben.

Die Berührung ist kein magischer Vorgang, sondern die Antwort auf Jesu Angebot. Sie schlägt in die bildlich gesprochen ausgestreckte Hand Jesu ein: „Ja, ich will es wagen, mich dir anzuvertrauen.“

Jesus setzt sich von der Definition, was rein und was unrein ist, ab. Nach damaligem Verständnis wäre der Vorgang so gelaufen. Die Frau hätte Jesus berührt und ihn mit ihrer Unreinheit angesteckt. Er wäre bis zum Abend sozusagen in Quarantäne gewesen, hätte sich nicht in der Synagoge sehen lassen dürfen. Doch genau das Gegenteil ist passiert. Jesus steckte die Frau mit seiner Reinheit an. Seine Reinheit – sein reines Herz, das im Einklang mit Gottes Willen war – veränderte die Frau, ließ ihren Blutfluss stoppen und holte sie zurück in die Gottesgemeinschaft. Eine offensive Kraft ging von Jesus aus, die Licht ins Dunkel trug und Krankheit besiegte. Mit Jesus verbunden, war die Frau im Licht und rein.

„Wer hat meinen Mantel berührt?“
Jesus spürt die Berührung, es kommt nun doch zur Begegnung. Die Frau gibt sich voller Furcht zu erkennen. Sie vertraut Jesus, aber weiß ja nicht, wie er auf sie reagieren würde. Für sie völlig verblüffend fährt Jesus sie nicht an, weist sie nicht in die Schranken, sondern bestätigt liebevoll ihren Glauben. Sie hatte richtig gehandelt und wurde gerettet, wieder hineingenommen in die Familie des himmlischen Vaters.

Gerettet zu sein ist mehr als gesund zu sein. Wäre sie nur gesund geworden, hätte sie genau das Leben wie vor zwölf Jahren wieder aufnehmen können. Als Gerettete hatte sich etwas Grundlegendes geändert. Sie gehörte nun zu Gottes Familie und bekam als Tochter Gottes einen neuen Lebensabschnitt geschenkt. Egal, was noch passierte, sie war nie mehr von Gottes Liebe ausgegrenzt, die Heimat bei ihm war ihr sicher.

Was lernen wir aus dieser Begegnung? 

  • Eine Beziehung zu Jesus beginnt, wenn ich von Jesus höre. Jesus selbst weckt die Sehnsucht, ihn zu treffen.
  • Mit meiner Not muss ich nicht allein und isoliert bleiben. Wie die Frau kann ich mir auch selbst einen Weg zu Jesus bahnen, initiativ werden, um ihn zu finden.
  • Sein Gewand zu berühren, bedeutet für mich, dass ich mich in seinen Einflussbereich begebe. Vor gut einem Jahr hätte ich gesagt: Geh in einen Gottesdienst, schließe dich einer Gemeinde oder einer Kleingruppe von Christen an, besuche ein christliches Konzert, eine Freizeit, misch dich unter Christen. Das klappt gerade nicht so gut. Doch Jesus bleibt dennoch berührbar, im Internet gibt es viele Angebote, das Telefon tragen wir meistens ganz dicht bei uns, online gibt es gute Möglichkeiten, auch in virtueller Gemeinschaft mehr von Jesus zu erfahren. Eigentlich ist es in diesen Zeiten sogar leichter, mit Jesus in Berührung zu kommen. Wir müssen nicht an einem besonderen Ort sein, können dabei zuhause bleiben, müssen noch nicht mal besondere Uhrzeiten beachten.
  • Rettung ist mehr als gesund zu werden, und sie gilt eben auch denen, die von ihren körperlichen und seelischen Leiden nicht befreit sind, obwohl sie Jesus vertrauen. Von Jesus gerettet zu werden, heißt, ihn immer an der Seite zu wissen, und das zeigt sich eben in Heilungen, besonderen Lebensführungen, aber auch in Zuversicht, die er auch in dunklen Tälern schenkt.
  • Manchmal braucht es ein Bindeglied zwischen Jesus und einer suchenden Person. Dieses Bindeglied kann ich sein:
    • Ich kann meiner Bekannten von meiner Erfahrung mit Jesus erzählen, wenn Jesus mir den Impuls dazu gibt. Dann hört die Person von Jesus eben durch meine Vermittlung.
    • Ich kann jemand an die Hand nehmen und ihm helfen, den Weg durch die Menge zu bahnen, um in Jesu Einflussbereich zu kommen.
    • Jesus stattet mich mit seiner Kraft aus, die wird überspringen und meine Mitmenschen erreichen.
    • Schon eine kleine Berührung reicht, um Leben zu verändern. Einen Moment der Offenheit kann Jesus nutzen, um das Herz zu wärmen und den Rettungsring zuzuwerfen. Um diese Momente bei unseren Mitmenschen können wir beten.
Jesus, berühre mich!“, diesen Wunsch hatte die Frau, und sie trat mutig an Jesus heran und holte sich diese Berührung ab. Diese Frau aus ferner Zeit fordert uns heraus, uns einen Weg zu suchen, um Jesus näher zu kommen und ihn machen zu lassen. Er weiß, was wir brauchen.
Cornelia Trick


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