Gottesdienst am 5.7.2020
in Brombach
Liebe Gemeinde,
es war ein ruhiger Sonntagnachmittag,
die Sonne schien, ein angenehmes Lüftchen wehte. Wir saßen auf
dem Balkon und lasen. Da ging im Nachbarhaus die Balkontür auf und
eine laute Nachrichtensendung erschallte bis zu uns. Es war nicht das erste
Mal. An Lesen war nun nicht mehr zu denken bei all den Wirtschaftsszenarien
zu Corona, die da aus dem Radio des Nachbarn kamen. Mein erster Impuls
war, mein Radio auch aufzudrehen, vielleicht ein bisschen lauter, oder
Live-Musik am offenen Fenster zu starten. Doch dann stellte ich mir die
Folgen vor. Würde der Nachbar nachlegen, Heavy-Metal-Musik starten?
Grillen mit heftiger Rauchentwicklung? Die anderen Nachbarn aufstacheln?
Ich stellte mir vor, was wohl Jesus getan hätte. Zwei Reaktionen kamen
mir in den Sinn:
-
Jesus klingelt bei dem Nachbarn,
redet nett mit ihm und fragt ihn, ob er zufällig Oropax hätte.
-
Jesus schnappt sein Buch,
schließt die Balkontür, verlässt das Haus und setzt sich
auf eine Bank im Wald.
Es ist eine Alltagssituation,
in der Menschen sich immer wieder ins Gehege kommen, unbeabsichtigt oder
auch gewollt, manchmal durchaus boshaft.
Schon Christen in den ersten
Gemeinden erlebten das. Sie wurden angegriffen, weil sie nun mit ihrer
neuen Lebenseinstellung gewisse Dinge nicht mehr mitmachten. Sie hatten
neue Freunde, einen neuen Lebensmittelpunkt, das rief Konflikte hervor.
Paulus schrieb der jungen
Gemeinde in Rom. Er wollte den Christen ans Herz legen, was Jesus ihnen
schenkte, Freiheit, die Verbindung zu Gott durch den Heiligen Geist, eine
neue Familie in der Gemeinde. Am Schluss des Briefes wurde Paulus praktisch
und gab Hinweise, wie sich die Römer nach Jesu Vorgaben und Vorbild
verhalten sollten. Davon greife ich einen Abschnitt heraus, der mir besonders
im Blick auf herausfordernde Mitmenschen hilft.
Römer 12,17-21
Vergeltet Böses nicht
mit Bösem. Habt den anderen Menschen gegenüber stets nur Gutes
im Sinn. Lebt mit allen Menschen in Frieden – soweit das möglich ist
und es an euch liegt. Nehmt nicht selbst Rache, meine Lieben. Überlasst
das vielmehr dem gerechten Zorn Gottes. In der Heiligen Schrift steht ja:
»›Die Rache ist meine Sache, ich werde Vergeltung üben‹ – spricht
der Herr.« Im Gegenteil: »Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm
zu essen. Wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, ist
es, als ob du glühende Kohlen auf seinem Kopf anhäufst.«
Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse
durch das Gute!
Hier geht es um den Alltag.
Wenn wir mit unseren Mitmenschen im Frieden leben, können wir uns
das mit dem Bild einer Waage vorstellen. Die anderen und wir sind im Gleichgewicht,
wir geben, wir nehmen, mal braucht der eine mehr Zuwendung oder Nachsicht,
mal die andere. Konflikte entstehen, wenn dieses Gleichgewicht gestört
wird. Da schmeißt jemand mir ein Gewicht in meine Waagschale und
reißt mich herunter. Ich versuche wieder ins Gleichgewicht zu kommen,
indem ich ihm das Gewicht zurückwerfe. Mein Vorgehen hat zwei Vorteile:
-
Der Ausgleich wird wiederhergestellt.
-
Ich muss mir keine kreativen
Gedanken machen, wie ich zukünftig mit meinem Widersacher umgehen
soll. Ich zahle einfach mit gleicher Münze heim.
Doch es gibt auch Nachteile,
und die überwiegen sogar:
-
Die Beziehung leidet. Ich
bin nur auf Vergeltung aus, sehe die Person hinter der Tat nicht mehr.
Phantasien wachsen, warum der andere so gehandelt hat.
-
Meistens bleibt es nicht dabei,
das Gewicht zurückzuwerfen. Gerne lege ich ein paar Gramm dazu, die
Auseinandersetzung eskaliert. Ich werde selbst zur Täterin. Meine
Gedanken sind gebunden. Ich ziehe andere mit hinein in den Konflikt, hole
mir Unterstützung. Ich kann mich nicht mehr einfach entziehen.
-
Mein innerer Friede ist gestört.
Ich fühle mich bedroht und verfolgt, sehe hinter jeder Ecke eine neue
Gefahr, auf die ich mich vorbereiten muss.
-
Die Beziehung zu Gott leidet.
Ich fühle mich von ihm verlassen, weil er ja scheinbar nichts tut,
um mich vor dem Feind zu retten. Ich blende die Zusage Gottes aus, dass
er mit mir geht und für mich streiten wird.
Welchen Weg zeigt Jesus?
Jesus öffnet den
Blick für Gott. Gott ist wie ein vertrauenswürdiger Vater, wie
eine bergende Mutter für uns. Er ist bereit, uns zu vergeben und jederzeit
neu anzufangen – mit uns und mit unseren Mitmenschen. Er ist unsere Quelle,
an der wir Kraft schöpfen, um über unseren Schatten zu springen
und dem ersten Impuls zu widerstehen, uns auf das Tun des Gegners einzulassen.
Jesus nimmt uns ernst.
Wir sind verantwortlich für unser Tun, nicht Marionetten an Fäden,
die Gott in den Händen hält. Wir können frei entscheiden,
was wir tun und wie wir auf Bedrohung antworten. Jesus ist mit uns, wir
kämpfen nicht allein gegen den Rest der Welt. Er gibt uns Impulse,
wie wir in seinem Sinne in Konflikten handeln können.
Jesus kämpft für
andere, nicht für sich selbst. Jesu Blick war bei seinen Heilungen
und Streitgesprächen immer auf seine Nächsten gerichtet. Er wollte
das Beste für die Schwächeren, deren Waagschale unten war. Er
sah ihre Bedürfnisse und reagierte. Bei unseren Streitpunkten geht
es nicht immer um die anderen, sondern oft um uns selbst. Wir fühlen
uns angegriffen und ungerecht behandelt. Vielleicht hilft es, den Blick
zum Nächsten zu richten. Was braucht er oder sie? Wem kann ich beistehen?
Für wen kann ich beten und ihn Jesus ans Herz legen?
Anleitung zum Miteinander
Bei einem Streit in der
Kindergruppe hörte ich einen Dialog, den auch Erwachsene mit mehr
Worten hätten führen können: „Du bist schuld“, „nein, du!“,
„aber du hast angefangen“, „nein, du“!, „das war aber genauso wie gestern
auf dem Spielplatz“, „immer bist du so blöd, ich will nie wieder mit
dir spielen!“ Bei den Kindern vergingen nur ein paar Minuten, und sie waren
wieder Freunde, bei uns Älteren geht es oft nicht so schnell. Da bleiben
die Worte hängen, manchmal für immer.
Wie können wir aus
den Konfliktspiralen herauskommen? Paulus gibt uns gute Anregungen.
-
Abstand nehmen. Am besten
wäre es, in einem Bild gesagt, den Faden der Vergangenheit abzuschneiden.
Es ist schwierig, aber möglich, sich selbst zu verbieten, immer wieder
in der Vergangenheit zu graben und die alten Verletzungen auszubuddeln.
Ich kann entscheiden, dass heute ein neuer Faden beginnt und ich nicht
mehr mitmache mit dem Aufrechnen der Taten von gestern und vorgestern.
Mir gelingt es am besten mit einem solchen Satz, den ich mir selbst sage:
„Schluss damit, das Päckchen der Vergangenheit übergebe ich Jesus,
soll der doch damit machen, was er will. Ich trage es nicht länger
mit mir.“
-
Kreativ werden. Paulus spricht
von Hunger und Durst des Gegenübers, von einer frischen Brezel und
einem Glas Wasser an der Haustür. Wenn ich richtig drin bin in einer
Auseinandersetzung kommt mir dieser Vorschlag seltsam vor. Dem anderen,
der mich so ärgert und verletzt, auch noch Gutes tun? Doch der Vorschlag
hat einen überraschenden Effekt. Beide Kontrahenten verlassen den
Boxring und begegnen sich neu – als Gastgeberin und Gast, als die, die
sich über Grundbedürfnisse verständigen können und
eigentlich das Gute wollen. Hier wird nicht von deplatzierten Geschenken
geredet, nicht von einer Schleimspur, sondern von dem, was alle brauchen
– Essen, Trinken, einen freundlichen Gruß auf der Straße, Respekt,
kein schlechtes Reden hintenherum und Wahrgenommen-Werden.
-
Feindesliebe. Nicht mit allen
Menschen können wir im Frieden leben, denn dieser Friede ist immer
von allen Parteien abhängig. Deshalb schränkt Paulus ein, „soweit
es möglich ist“. Doch in unserem Herzen können wir ein Teil-Friedensabkommen
schließen. Wir können uns entscheiden, den Angriffen nicht mit
gleichem oder größerem Gewicht zu antworten. Wir können
selbst unsere Handlungen bestimmen und aus der Opferrolle des Reagierens
herauskommen. Wir können Kraft an der Quelle Gottes holen, beten,
uns von ihm Gelassenheit und Humor schenken lassen. Feindesliebe, wie Jesus
sie von uns erwartet, beginnt ganz klein, indem wir den Blick nach oben
richten und tief durchatmen, in der Hoffnung, dass Gott uns Zeichen gibt,
wie es weitergeht.
Unsere Lebenserfahrung sagt,
dass die Nachrichtensendungen des Nachbarn weitergehen werden. Auch der
feindliche Kollege, vielleicht von Neid getrieben, wird weiter intrigieren.
Aber wir sind nicht allein auf weitem Posten, sondern haben Jesus an der
Seite. Er hält mit uns aus. Er schenkt uns seinen Blick auf den Konflikt.
Er tröstet und lenkt uns auf andere Felder in unserem Alltag, wo etwas
gelingt, wo wir Frieden finden und es uns gut geht.
Paulus spricht von feurigen
Kohlen, die wir aufs Haupt unseres Gegners sammeln können. Vielleicht
ist damit ein Bußritual gemeint, als man eine Schale mit Kohlen auf
dem Kopf trug als Zeichen, dass man bereute. Paulus meint wohl, dass unser
Handeln unser Gegenüber zur Umkehr bewegen kann. Auch wenn uns das
wenig wahrscheinlich erscheint, sollte es Gott nicht möglich sein,
auch das zu bewirken?
Manchmal muss ich mir selbst
auch feurige Kohlen aufs Haupt legen lassen. Denn leider bin auch ich aktiv
in Konflikten beteiligt, mache nicht alles richtig und brauche eine neue
Chance des Miteinanders. Das macht mich barmherzig und lässt mich
ahnen, dass ich jeden Tag neu Jesu Kraft brauche, um in seinem Sinne zu
leben.
„Lass
dich nicht vom Bösen besiegen, sondern überwinde das Böse
mit Gutem.“ (Römer
12,21)
Cornelia
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