Im Frieden leben (Römer 12,17-21)
Gottesdienst am 5.7.2020 in Brombach

Liebe Gemeinde,
es war ein ruhiger Sonntagnachmittag, die Sonne schien, ein angenehmes Lüftchen wehte. Wir saßen auf dem Balkon und lasen. Da ging im Nachbarhaus die Balkontür auf und eine laute Nachrichtensendung erschallte bis zu uns. Es war nicht das erste Mal. An Lesen war nun nicht mehr zu denken bei all den Wirtschaftsszenarien zu Corona, die da aus dem Radio des Nachbarn kamen. Mein erster Impuls war, mein Radio auch aufzudrehen, vielleicht ein bisschen lauter, oder Live-Musik am offenen Fenster zu starten. Doch dann stellte ich mir die Folgen vor. Würde der Nachbar nachlegen, Heavy-Metal-Musik starten? Grillen mit heftiger Rauchentwicklung? Die anderen Nachbarn aufstacheln? Ich stellte mir vor, was wohl Jesus getan hätte. Zwei Reaktionen kamen mir in den Sinn:

  • Jesus klingelt bei dem Nachbarn, redet nett mit ihm und fragt ihn, ob er zufällig Oropax hätte.
  • Jesus schnappt sein Buch, schließt die Balkontür, verlässt das Haus und setzt sich auf eine Bank im Wald.
Es ist eine Alltagssituation, in der Menschen sich immer wieder ins Gehege kommen, unbeabsichtigt oder auch gewollt, manchmal durchaus boshaft.

Schon Christen in den ersten Gemeinden erlebten das. Sie wurden angegriffen, weil sie nun mit ihrer neuen Lebenseinstellung gewisse Dinge nicht mehr mitmachten. Sie hatten neue Freunde, einen neuen Lebensmittelpunkt, das rief Konflikte hervor. 

Paulus schrieb der jungen Gemeinde in Rom. Er wollte den Christen ans Herz legen, was Jesus ihnen schenkte, Freiheit, die Verbindung zu Gott durch den Heiligen Geist, eine neue Familie in der Gemeinde. Am Schluss des Briefes wurde Paulus praktisch und gab Hinweise, wie sich die Römer nach Jesu Vorgaben und Vorbild verhalten sollten. Davon greife ich einen Abschnitt heraus, der mir besonders im Blick auf herausfordernde Mitmenschen hilft.

Römer 12,17-21
Vergeltet Böses nicht mit Bösem. Habt den anderen Menschen gegenüber stets nur Gutes im Sinn. Lebt mit allen Menschen in Frieden – soweit das möglich ist und es an euch liegt. Nehmt nicht selbst Rache, meine Lieben. Überlasst das vielmehr dem gerechten Zorn Gottes. In der Heiligen Schrift steht ja: »›Die Rache ist meine Sache, ich werde Vergeltung üben‹ – spricht der Herr.« Im Gegenteil: »Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen. Wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, ist es, als ob du glühende Kohlen auf seinem Kopf anhäufst.« Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!

Hier geht es um den Alltag. Wenn wir mit unseren Mitmenschen im Frieden leben, können wir uns das mit dem Bild einer Waage vorstellen. Die anderen und wir sind im Gleichgewicht, wir geben, wir nehmen, mal braucht der eine mehr Zuwendung oder Nachsicht, mal die andere. Konflikte entstehen, wenn dieses Gleichgewicht gestört wird. Da schmeißt jemand mir ein Gewicht in meine Waagschale und reißt mich herunter. Ich versuche wieder ins Gleichgewicht zu kommen, indem ich ihm das Gewicht zurückwerfe. Mein Vorgehen hat zwei Vorteile:

  • Der Ausgleich wird wiederhergestellt.
  • Ich muss mir keine kreativen Gedanken machen, wie ich zukünftig mit meinem Widersacher umgehen soll. Ich zahle einfach mit gleicher Münze heim.
Doch es gibt auch Nachteile, und die überwiegen sogar:
  • Die Beziehung leidet. Ich bin nur auf Vergeltung aus, sehe die Person hinter der Tat nicht mehr. Phantasien wachsen, warum der andere so gehandelt hat.
  • Meistens bleibt es nicht dabei, das Gewicht zurückzuwerfen. Gerne lege ich ein paar Gramm dazu, die Auseinandersetzung eskaliert. Ich werde selbst zur Täterin. Meine Gedanken sind gebunden. Ich ziehe andere mit hinein in den Konflikt, hole mir Unterstützung. Ich kann mich nicht mehr einfach entziehen.
  • Mein innerer Friede ist gestört. Ich fühle mich bedroht und verfolgt, sehe hinter jeder Ecke eine neue Gefahr, auf die ich mich vorbereiten muss.
  • Die Beziehung zu Gott leidet. Ich fühle mich von ihm verlassen, weil er ja scheinbar nichts tut, um mich vor dem Feind zu retten. Ich blende die Zusage Gottes aus, dass er mit mir geht und für mich streiten wird.
Welchen Weg zeigt Jesus?
Jesus öffnet den Blick für Gott. Gott ist wie ein vertrauenswürdiger Vater, wie eine bergende Mutter für uns. Er ist bereit, uns zu vergeben und jederzeit neu anzufangen – mit uns und mit unseren Mitmenschen. Er ist unsere Quelle, an der wir Kraft schöpfen, um über unseren Schatten zu springen und dem ersten Impuls zu widerstehen, uns auf das Tun des Gegners einzulassen.

Jesus nimmt uns ernst. Wir sind verantwortlich für unser Tun, nicht Marionetten an Fäden, die Gott in den Händen hält. Wir können frei entscheiden, was wir tun und wie wir auf Bedrohung antworten. Jesus ist mit uns, wir kämpfen nicht allein gegen den Rest der Welt. Er gibt uns Impulse, wie wir in seinem Sinne in Konflikten handeln können. 

Jesus kämpft für andere, nicht für sich selbst. Jesu Blick war bei seinen Heilungen und Streitgesprächen immer auf seine Nächsten gerichtet. Er wollte das Beste für die Schwächeren, deren Waagschale unten war. Er sah ihre Bedürfnisse und reagierte. Bei unseren Streitpunkten geht es nicht immer um die anderen, sondern oft um uns selbst. Wir fühlen uns angegriffen und ungerecht behandelt. Vielleicht hilft es, den Blick zum Nächsten zu richten. Was braucht er oder sie? Wem kann ich beistehen? Für wen kann ich beten und ihn Jesus ans Herz legen?

Anleitung zum Miteinander
Bei einem Streit in der Kindergruppe hörte ich einen Dialog, den auch Erwachsene mit mehr Worten hätten führen können: „Du bist schuld“, „nein, du!“, „aber du hast angefangen“, „nein, du“!, „das war aber genauso wie gestern auf dem Spielplatz“, „immer bist du so blöd, ich will nie wieder mit dir spielen!“ Bei den Kindern vergingen nur ein paar Minuten, und sie waren wieder Freunde, bei uns Älteren geht es oft nicht so schnell. Da bleiben die Worte hängen, manchmal für immer.

Wie können wir aus den Konfliktspiralen herauskommen? Paulus gibt uns gute Anregungen.

  • Abstand nehmen. Am besten wäre es, in einem Bild gesagt, den Faden der Vergangenheit abzuschneiden. Es ist schwierig, aber möglich, sich selbst zu verbieten, immer wieder in der Vergangenheit zu graben und die alten Verletzungen auszubuddeln. Ich kann entscheiden, dass heute ein neuer Faden beginnt und ich nicht mehr mitmache mit dem Aufrechnen der Taten von gestern und vorgestern. Mir gelingt es am besten mit einem solchen Satz, den ich mir selbst sage: „Schluss damit, das Päckchen der Vergangenheit übergebe ich Jesus, soll der doch damit machen, was er will. Ich trage es nicht länger mit mir.“
  • Kreativ werden. Paulus spricht von Hunger und Durst des Gegenübers, von einer frischen Brezel und einem Glas Wasser an der Haustür. Wenn ich richtig drin bin in einer Auseinandersetzung kommt mir dieser Vorschlag seltsam vor. Dem anderen, der mich so ärgert und verletzt, auch noch Gutes tun? Doch der Vorschlag hat einen überraschenden Effekt. Beide Kontrahenten verlassen den Boxring und begegnen sich neu – als Gastgeberin und Gast, als die, die sich über Grundbedürfnisse verständigen können und eigentlich das Gute wollen. Hier wird nicht von deplatzierten Geschenken geredet, nicht von einer Schleimspur, sondern von dem, was alle brauchen – Essen, Trinken, einen freundlichen Gruß auf der Straße, Respekt, kein schlechtes Reden hintenherum und Wahrgenommen-Werden.
  • Feindesliebe. Nicht mit allen Menschen können wir im Frieden leben, denn dieser Friede ist immer von allen Parteien abhängig. Deshalb schränkt Paulus ein, „soweit es möglich ist“. Doch in unserem Herzen können wir ein Teil-Friedensabkommen schließen. Wir können uns entscheiden, den Angriffen nicht mit gleichem oder größerem Gewicht zu antworten. Wir können selbst unsere Handlungen bestimmen und aus der Opferrolle des Reagierens herauskommen. Wir können Kraft an der Quelle Gottes holen, beten, uns von ihm Gelassenheit und Humor schenken lassen. Feindesliebe, wie Jesus sie von uns erwartet, beginnt ganz klein, indem wir den Blick nach oben richten und tief durchatmen, in der Hoffnung, dass Gott uns Zeichen gibt, wie es weitergeht.
Unsere Lebenserfahrung sagt, dass die Nachrichtensendungen des Nachbarn weitergehen werden. Auch der feindliche Kollege, vielleicht von Neid getrieben, wird weiter intrigieren. Aber wir sind nicht allein auf weitem Posten, sondern haben Jesus an der Seite. Er hält mit uns aus. Er schenkt uns seinen Blick auf den Konflikt. Er tröstet und lenkt uns auf andere Felder in unserem Alltag, wo etwas gelingt, wo wir Frieden finden und es uns gut geht.

Paulus spricht von feurigen Kohlen, die wir aufs Haupt unseres Gegners sammeln können. Vielleicht ist damit ein Bußritual gemeint, als man eine Schale mit Kohlen auf dem Kopf trug als Zeichen, dass man bereute. Paulus meint wohl, dass unser Handeln unser Gegenüber zur Umkehr bewegen kann. Auch wenn uns das wenig wahrscheinlich erscheint, sollte es Gott nicht möglich sein, auch das zu bewirken?

Manchmal muss ich mir selbst auch feurige Kohlen aufs Haupt legen lassen. Denn leider bin auch ich aktiv in Konflikten beteiligt, mache nicht alles richtig und brauche eine neue Chance des Miteinanders. Das macht mich barmherzig und lässt mich ahnen, dass ich jeden Tag neu Jesu Kraft brauche, um in seinem Sinne zu leben. 

Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Römer 12,21)

Cornelia Trick


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