Ich glaube und zweifle (Römer 8,28+31-32+38-39)
Gottesdienst am 13.11.2016 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
am 2.Weihnachtsfeiertag und Ostermontag ist bei uns Familientreffen im Schwarzwald. Für uns alle ist dieser Termin richtig wichtig, alle sind beieinander, Schwiegermutter, Geschwister, Nichten und Neffen. Schon jetzt habe ich den Duft in der Nase, wenn sich die Haustür öffnet: Tomatensauce, wie sie nur Schwiegermutter kochen kann. Die Stimmen schallen aus dem Wohnzimmer, alle rennen aufgeregt herum. Das ist ein Ort zum Fallenlassen, es wird für mich gesorgt, ich bin geliebt und werde akzeptiert, auch wenn wir nicht alle das Gleiche denken und tun. Ich darf mittun, mich in die Küchengeschäfte einmischen, durchs Haus laufen, ohne fragen zu müssen.

Wir haben meist nicht nur einen Ort, der uns Rückzug und Vergewisserung bietet, dass wir nicht allein sind und alles gut ist. Es sind auch nicht nur reale Orte mit Hausnummer und GPS-Koordinaten. Ich habe auch Menschen, bei denen ich zuhause bin und – bildlich gesprochen – die Schuhe ausziehen kann. Und es gibt auch Lieder und Texte für mich, die entspannend und bestärkend auf mich wirken, wie wenn ich zum Familientreffen nach Hause komme.

Heute stelle ich solch einen Text in den Mittelpunkt, der für manch einen Heimat des Glaubens geworden ist. 

Paulus stimmt im Römerbrief ein Glaubenslied an. Es reißt uns aus dem eigenen Dunkel und dem eigenen Grübeln. Es malt Gottes „für mich“ groß vor Augen und lädt ein, zur Haustür hereinzukommen und sich am Ort der Geborgenheit aufzuwärmen.

Wir müssen dieses Lied nicht gleich mitsingen, können uns zunächst hineinhören und mitschwingen.

Römer 8,28+31-32+38-39

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.
Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Ein vollmundiges Gotteslob …
Mächtige Aussagen werden hier gemacht: „Wir wissen“. Alles, auch das noch so Schmerzliche, dient uns zum Besten. 

Jemand erzählte mir, wie er morgens im Dunkeln als Fahrradfahrer von einem anderen Fahrradfahrer über den Haufen gefahren wurde. Und der ist dann einfach aufgestanden und weitergefahren. Fassungslos blieb er zurück mit seinem kaputten Fahrrad. Als er es am nächsten Tag zur Werkstatt gebracht hatte, kam heraus, dass die Gabel vorne ganz durchgerostet war. „Wie gut“, sagte er, „wenn die demnächst unvermutet gebrochen wäre, dann wäre mir mehr passiert.“  

So schnell wie hier bekommen wir jedoch meistens nicht die Auflösung für unsere Lebensrätsel. Manchmal wird ein ganzes Leben lang nicht klar, wie uns eine Situation jemals zum Besten dienen konnte.

Das Glaubenslied ist vollmundiges Gotteslob, es will uns wie ein Ohrwurm durch das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen begleiten. Es will uns vorgeben, dass trotz und durch viele Irrwege Gott nicht davon abgebracht wird, unser Leben zu unserem Besten zu führen, nämlich auf ihn zu.

… das trägt, gerade wenn es schwer wird …
Paulus beschreibt hier mit wenigen Pinselstrichen zwei Situationen der damaligen Zeit beispielhaft:

Er spricht in der Wir-Form über die Zurückweisungen, die Christen damals erlebten. Sie wurden für alles Mögliche Schreckliche verantwortlich gemacht und vor Gericht gebracht, sie waren ideale Sündenböcke. Aber in diesen Gerichtsverfahren sind sie nicht allein, so Paulus, ihr Anwalt Jesus schenkt ihnen den Blick auf die Freiheit. Einen Pass für den Himmel haben sie, kein Gefängnis kann sie dauerhaft wegschließen.

Er spricht in der Ich-Form von ganz persönlichen Erfahrungen und holt uns mit unseren Lebensführungen ab. Wenn wir am Grab stehen, vom Leben überfordert sind, das Hamsterrad der Arbeit sich immer schneller dreht, die Mächte nach uns greifen, dann gilt, dass Gottes Liebe hält und das Band des Heiligen Geistes nicht abreißt. Dazu sagt Paulus: „Ich bin gewiss!“.

Das sind starke Worte in einer Zeit, wo eigentlich nichts mehr für die Ewigkeit gilt, wo unser Konsumverhalten auf unsere innersten Beziehungen übergegriffen hat und wir uns eigentlich nicht mehr vorstellen können, dass Gott immer, überall und für alle Zeiten zu uns steht.

… und heute genauso wichtig ist wie damals …
Wie können wir dieses Lied des Glaubens also heute verstehen? Sicher nicht so, dass wir unsere Lebenswirklichkeit, unser Denken und Fühlen ausklammern. Glaube ist ein Beziehungswort, keine abgeschwächte Form von Wissen. Deshalb können wir glauben viel besser mit vertrauen bezeichnen, sich anvertrauen, Vertrauen zu einem anderen haben, jemand besser kennenlernen wollen, nicht Wissen über ihn sammeln. 

In einer vertrauensvollen Beziehung hat auch Nicht-Wissen Platz. Ich weiß nicht alles über meinen Ehemann. Meine Kenntnis ist  nur vorläufig und durch meine Brille gefiltert. Immer wieder werde ich fragen, ob der Weg miteinander so gut ist oder ich Weichen anders stellen muss, weil er anders ist, als ich es gedacht hatte. Das sind ganz normale Prozesse in jeder Beziehung, sei es zu Freunden, Familienmitgliedern oder Kollegen.

Tödlich für eine Beziehung ist nicht das Nicht-Wissen, sind nicht Zweifel an mir und anderen, sondern tödlich sind Angst voreinander und Misstrauen – vielleicht will der andere mich gar nicht?

Übertragen wir das auf unsere Beziehung zu Gott. Auch da sind Nicht-Wissen und Zweifel ganz natürlich. Wie können wir alles über Gott wissen? Nur einen kleinen Ausschnitt seines Wesens offenbart er uns in seinem Sohn Jesus. Das soll uns genügen. Da bleiben noch viele Fragen ganz klar offen. Dieses Ringen um Gottes Weg mit uns macht die Beziehung aus und hält sie lebendig. Ganz anders Angst und Misstrauen. Wenn ich immer im Hinterkopf habe, dass Gott es nicht gut mit mir meinen könnte, wenn ich immer Angst habe, dass er mir eine reinwürgen will, dann bleibe ich im Abstand und jedes Vertrauen stirbt.

Zwei Bilder charakterisieren Glauben als Wissen und Glauben als Vertrauen ganz gut.

Nehmen wir ein Puzzle. Ein Teil greift in das andere, am Schluss entsteht ein vollständiges Bild. Ist Glaube so verstanden, sammeln wir wissen über Gott und Gottes Willen. Wir suchen nach dem perfekten Plan Gottes, nach dem vollständigen Bild und sind frustriert, wenn immer wieder Teile fehlen oder einfach nicht passen wollen. Irgendwann schmeißen wir die Teile durcheinander und stellen die Schachtel mit „Glauben an Gott“ ins Spieleregal auf Nimmerwiedersehen.

Nehmen wir einen Luftballon und stellen uns vor, das wäre unser Glaube. Je größer die Oberfläche des Ballons wird, je mehr Luft muss in ihn hinein. Die Luft, das sind unsere offenen Fragen und Zweifel. Wenn unser Glaube wächst, wachsen die Fragen und Zweifel mit. Wer zum Beispiel nur die Kinderbibel liest, lernt die Geschichte Gottes mit den Menschen als gradlinige Entwicklung mit deutlich rotem Faden kennen. Wer die Bibel Seite für Seite liest, stößt auf Ungereimtheit, Unverständliches und Widersprüchliches und auf schwierige Geschichten. Den roten Faden zu entdecken, ist da eine Lebensaufgabe, die nie abgeschlossen ist. Mal gelingt es leichter, mal ist die Sicht wie versperrt. 

Sollten wir also alle nur noch die Kinderbibel lesen? Ja, wenn wir bei einem Kinderglauben stehenbleiben wollen, der der Lebenserfahrung und den Abstürzen im Leben nicht standhält.

Dagegen wächst der Glaube, wird erwachsen, wenn er sich den Fragen aussetzt, mit Zweifeln umgeht und gerade darin erfährt, dass Gott hält und die Beziehung trägt.

… weil er trägt
Wie erleben wir Gott, Jesus, den Heiligen Geist in der Beziehung? 

Zuallererst steht da das Ja Gottes, das auch gilt, wenn Zweifel kommen und Gefühle der Nähe fehlen. Martin Luther machte dieses Ja an seiner Taufe fest. Weil er getauft war, galt, dass Gott sein Ja gesprochen hatte. Dieses Ja ist unabhängig von Herkunft, aktuellem Lebenswandel, Schuld und gesellschaftlichem Ansehen. Es gilt vorbehaltlos. Oft wird es uns durch Menschen vermittelt. Unsere ersten Bezugspersonen sollten uns schon auf diese unbedingte Liebe Gottes hinweisen und mit uns Urvertrauen einüben. Aber auch wenn sie versagen, kreuzen noch andere Menschen unseren Weg, die uns ins Herz schauen. Wir sagen dann gerne, dass sie „an uns glaubten“, was ja so viel heißt, wie dass sie uns vertrauten und in uns mehr sahen, als andere. 

Manchmal wird uns das Ja Gottes auch durch Lebensumstände vermittelt, leider sind es oft die tiefen Erfahrungen, der freie Fall, der von Gottes Hand gebremst wurde. Es sind Zeiten, wo wir uns fragen, was hält, wer hält und woher unsere Kraft kommt. Da wirft sich uns Gott direkt in den Weg.

Glaube und Zweifel gehören zusammen wie ein Luftballon und die darin enthaltene Luft. Wir werden die Zweifel nie losbekommen, aber wir können die Oberfläche des Ballons stärken, indem wir Gott kennen lernen und ihm immer mehr vertrauen. 

Das Glaubenslied des Paulus ist eine solche Stärkung, es will uns in Gottes Liebe hinein holen und eine kleine Atempause schenken, bevor wir wieder hinaus ins wirkliche Leben gehen.

Wie beim Familientreffen im Schwarzwald, wenn wir uns mit vollem Bauch, durchwärmtem Körper und gepolsterter Seele wieder auf in den Taunus machen.

Cornelia Trick


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