Ein Brot reicht (Markus 8,14-21)
Gottesdienst am 29.3.2020 in Brombach, wegen der Corona-Pandemie ohne anwesende Gemeinde

Liebe Gemeinde,
an einem sonnigen Tag saß ich am Beckenrand eines Schwimmbads und schaute verschiedenen Trainingsgruppen beim Schwimmunterricht zu. Da waren die Fortgeschrittenen. Der Trainer stand voll bekleidet am Rand, gab Empfehlungen zur Verbesserung des Schwimmstils und nahm die Zeit beim Bahnen-Schwimmen ab. Alle waren gute Schwimmer, es bestand keine Gefahr, dass jemand unterging. Es gab auch eine Anfängergruppe. Quirlige Kinder tobten im Nichtschwimmerbecken, die Trainerin mittendrin dabei. Sie half einzelnen, die richtigen Bewegungen zu lernen, und passte auf, dass niemand ertrank. Der Schwimmlehrer für Fortgeschrittene hätte locker mal weggehen können, nichts wäre passiert. Die Lehrerin im Anfängerkurs konnte ihre Kinder keine Minute aus den Augen lassen, sie wären in großer Gefahr gewesen.

Bis vor ein paar Wochen dachte ich, dass wir im Fortgeschrittenen-Kurs sind. Es war ziemlich klar, wie der Weg verlief, persönlich, in unserer Gemeinde, in unserem Land. Wir beteten zu Gott um Wegweisung, um Hilfe in aktuellen Notlagen, klar, aber grundsätzlich waren wir doch abgesichert, richtig ums Ertrinken oder Überleben ging es selten.

So ändern sich Sichtweisen. Heute würde ich mich ganz klar im Anfängerkurs verorten. Fragen gehen mit mir um. Wie können wir die unvorstellbar großen Summen der Hilfspakete schultern? Wie kommen wir als Einzelne zurecht und hindurch? Was macht es mit uns als Gemeinde, wenn wir uns auf unbestimmte Zeit nicht mehr treffen können?

Allein im bedrohlichen Wasser und nicht schwimmen zu können, das ist ein Alptraum. Wie gut, dass wir den Schwimmlehrer bei uns haben, Jesus.

Eine Begebenheit, die von ihm erzählt, ist in mir lebendig geworden.
Jesus war mit seinen Freunden unterwegs. Er hatte Menschen geheilt, viele Menschen mit wenig Brot gesättigt und er wurde in ein Streitgespräch verwickelt. Die religiösen Influencer wollten von ihm ein Wunder zur Legitimation sehen. Er sollte seine göttliche Vollmacht beweisen. Doch Jesus seufzte nur. Er brauchte ihre Zustimmung nicht, sie hätten ihm nur zuschauen müssen, ihn eine Weile begleiten können, dann hätten sie alles gesehen und erlebt. Das hätte sie überzeugt.

Nach diesem Streit stieg Jesus mit seinen 12 Freunden ins Boot und setzte ans andere Seeufer über.

Markus 8,14-21
Die Jünger hatten vergessen, Brote zu besorgen. Deshalb hatten sie nur ein einziges Brot bei sich im Boot. Und Jesus schärfte ihnen ein: »Nehmt euch in Acht, hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und vor dem Sauerteig von Herodes.« Aber sie machten sich nur Gedanken darüber, dass sie kein Brot hatten. Jesus merkte das und sagte zu ihnen: »Warum macht ihr euch Gedanken darüber, dass ihr kein Brot habt? Versteht ihr immer noch nicht? Begreift ihr denn gar nichts? Sind eure Herzen so fest verschlossen? Ihr habt doch Augen – seht ihr denn nichts? Ihr habt doch Ohren – hört ihr denn nichts? Erinnert ihr euch noch daran, wie ich fünf Brote unter fünftausend Menschen ausgeteilt habe? Wie viele Körbe habt ihr mit den Resten gefüllt?« Sie antworteten ihm: »Zwölf.« »Und als ich sieben Brote unter viertausend ausgeteilt habe? Wie viele Körbe habt ihr da mit Resten gefüllt?« Sie antworteten ihm: »Sieben.« Da sagte Jesus zu ihnen: »Begreift ihr denn immer noch nichts?«

Ich stelle mir vor, wie die 13 Männer im Boot sitzen, erschöpft von fruchtlosen Diskussionen, hungrig nach einem langen Tag. Einer fragt: „Können wir jetzt mal was essen?“ Er schaut in die Runde, und einer nach dem fragt seinen Nachbarn: „Hast du was besorgt? Hast du dich darum gekümmert? Warst du nicht dran mit einkaufen?“ Alle schauen betreten zu Boden, bis schließlich einer ein kleines Brot aus dem Rucksack zieht. „Naja, ich habe ja noch eines von gestern …“

Jesus bekommt das offenbar gar nicht mit. Er sieht das Brot und denkt an seine Gegner. Ja, wie Sauerteig das Mehl durchsäuert und zu Brot macht, so kommen ihm seine Kontrahenten vor. Sie vergiften die Atmosphäre, indem sie Jesus unterstellen, er wäre ein Scharlatan, ein Verführer, ein Aufschneider. Sind es auch nur wenige, so beeinflussen sie die Menge mit ihren Fake News.

Ob die Jünger auf Jesus achten? Sie sind ganz in ihrer eigenen Hunger-Welt, der Magen knurrt, und es ist nur ein Brot für alle da.

Die 12 Jungs kommen mir sehr nahe. Ich habe zwar gerade keinen Hunger, aber genug andere Sorgen. Ich höre die Nachrichten, ich fürchte mich vor all den Schreckensszenarien, ich denke an meine Lieben, an meine Gemeinde, die Menschen in systemrelevanten Berufen. Werden sie durchhalten? Werden die Krankenhäuser die Aufgabe stemmen?

Ich habe Angst, dass ich nicht genug Kraft habe. Ich fürchte den Tag, an dem ein mir gut bekannter Mensch auf der Intensivstation liegt und ich ihn nicht begleiten kann. Ich fühle mich wie ein Nichtschwimmer im Wasser.

Jesus reagiert. Er erinnert seine Jünger. Einmal waren 5000 Leute beieinander, ein anderes Mal 4000. Sie hatten auch nur ein paar Brote für all diese Menschen, aber es hat jedes Mal gereicht. Jesus hatte ausgeteilt, und alle wurden mehr als satt. Das hatten die Jünger doch hautnah miterlebt. Warum soll jetzt ein Brot für 13 nicht reichen? Jesus schüttelt den Kopf: „Begreift ihr denn immer noch nichts?“
Ich vermute, Jesus schüttelt auch über mich den Kopf und sagt mir: „Begreifst du denn immer noch nichts?“

Corona ist eine große, weltumspannende Naturkatastrophe in Zeitlupe. Wir wähnten uns im Schwimmkurs für Fortgeschrittene, waren wohl ein bisschen zu überzeugt von unserem Können und unseren Möglichkeiten. Nun sind wir wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen worden. Wir können die Welt nicht bezwingen oder beherrschen. Wir sind nicht unantastbar. Wir sind Teil einer Welt, in der Leid, Not und Krankheit dazugehören.

Aber wir sind nicht allein im Boot und nicht allein im Wasser. Jesus ist bei uns. Er hat uns mit seinem Leben und Leiden klar gemacht, dass wir uns auf ihn verlassen können. Er kennt unsere Not. Am Kreuz hat er mit uns auch Corona durchlitten. Er hilft uns, um Corona durchzustehen. Das Brot, das er uns austeilt, reicht für alle. Wie das konkret aussehen kann: Ein Pfleger, mit dem ich im Gespräch war, erzählte von dem Zusammenhalt in seinem Team trotz Überstunden. Das hat ihm gezeigt, wie Gott für ihn sorgte. Eine Freundin, die im Supermarkt arbeitet, ist ganz erfüllt von netten Kunden, die sich bei ihr bedanken für ihre Arbeit. Da schenkt Jesus ihr Menschen, die sie wertschätzen in allem Stress. Und ich selbst habe viele Gespräche am Telefon, die im normalen Alltag nie zustande gekommen wären. Das sind für mich ungeahnte Möglichkeiten, um direkt in Kontakt zu sein, obwohl wir uns doch gar nicht begegnen dürfen. Jesus vermittelt das. Er kann unsere Not wenden, uns zum Leben führen, das Virus, die Not wird nicht das letzte Wort haben.

Jesus bezieht uns in seine Rettungsmannschaft mit ein. Nicht er hatte das eine Brot dabei, sondern einer seiner Freunde. Unsere kleinen Brote, unsere kleinen Beiträge zur Hilfe nimmt Jesus und macht daraus etwas Großes. Ein Anruf kann Licht in den Tag des Anderen bringen. Mut machende Worte für die  Bäckersfrau können ihre Arbeit für sie wertvoll werden lassen. Das Päckchen mit Karte, einer Kerze und einem Samentütchen vor der Tür kann wie eine warme Umarmung und ein inniges Kaffeetrinken wirken. Die Krankenschwester, die mit wachem Blick ihre Patienten begleitet, kann ihnen signalisieren: „Wir geben euch nicht auf“. 

Auch wenn unsere Welt nach Corona anders aussehen sollte, als wir sie bis jetzt kannten, wird Jesus mit uns im Boot bleiben und uns helfen. Aus dem Verlust des Alten, Sichergeglaubten kann Neues werden. Eine neue Verantwortung füreinander, weil wir uns alle als bedürftig erkennen. Eine stärke Bindung an Jesus, weil wir ihm vertrauen können, und Vorfreude, was er uns nun beibringen wird, vielleicht einen Gang runterzuschalten, mit weniger zufrieden zu sein und intensiver wahrzunehmen, was uns geschenkt ist.

Man halte nur ein wenig stille und sei doch in sich selbst vergnügt, wie unsers Gottes Gnadenwille, wie sein Allwissenheit es fügt. Gott, der uns sich hat auserwählt, der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt. 
(Wer nur den lieben Gott lässt walten, Strophe 3)

Cornelia Trick


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