#bitte wenden (Apostelgeschichte 8,26-39)
Gottesdienst am 6.11.2016 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
eines Abends kam eine junge Frau in die Bibelstunde der Gemeinde. Das war sehr ungewöhnlich, denn zum einen war der Altersdurchschnitt dieser Gruppe bei 60 Jahren, zum anderen kam eigentlich nie eine Fremde dazu, es war eher eine Veranstaltung für langjährige Gemeindeleute. 

Sie erzählte hinterher ihre Geschichte, wie sie in einem anderen Ort Methodisten kennengelernt hatte, erste Schritte des Glaubens gegangen war. Dann ist ihr Leben aus den Fugen geraten, ihre Beziehung in die Brüche gegangen. Sie hatte sich entschlossen, dort ihre Zelte abzubrechen und im neuen Ort mit neuer Arbeitsstelle von vorne zu beginnen. Sie erhoffte sich, hier den Kontakt zu Gott wieder zu finden, deshalb war sie gekommen.

Diese Bibelstunde war wie eine Kreuzung, ihre und unsere Wege trafen sich. Sie fand dann Wegbegleiter, die sie über viele Jahre unterstützten, sie fand Gott und Heilung, sie wurde selbst zum Wegbegleiter für andere. Dies war auch im Rückblick kein einfacher, gerader Weg, es gab Schleifen und Umwege, bis ein neuer Horizont aufleuchtete.

Die Bibel erzählt solche Geschichten oft in Kurzform, als ob der Inhalt eines 90-Minuten-Films in drei Sätzen zusammengefasst wird. Eine solche Geschichte fand zur Zeit der ersten Christenverfolgung in Jerusalem statt, als die Missionare der Urgemeinde in Jerusalem in andere Teile des Landes flüchteten. Auch dort erzählten sie von Jesus und gründeten neue Gemeinden. Wie eine Pusteblume vom Wind in alle Richtungen verstreut wird, so die Urgemeinde in Jerusalem. Auch Philippus kam ursprünglich aus der Urgemeinde und wirkte nun in Samaria. Von ihm erzählt die Begebenheit an einer einsamen Straße in der Wüste.

Apostelgeschichte 9,26-39

Der Engel des Herrn aber sagte zu Philippus: »Mach dich auf den Weg und geh nach Süden, zu der Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt!« Diese Straße wird kaum von jemand benutzt. Philippus machte sich auf den Weg und ging dorthin. Da kam in seinem Reisewagen ein Äthiopier gefahren. Es war ein hoch gestellter Mann, der Finanzverwalter der äthiopischen Königin, die den Titel Kandake führt, ein Eunuch. Er war in Jerusalem gewesen, um den Gott Israels anzubeten. Jetzt befand er sich auf der Rückreise. Er saß in seinem Wagen und las im Buch des Propheten Jesaja. Der Geist Gottes sagte zu Philippus: »Lauf hin und folge diesem Wagen!« Philippus lief hin und hörte, wie der Mann laut aus dem Buch des Propheten Jesaja las. Er fragte ihn: »Verstehst du denn, was du da liest?« Der Äthiopier sagte: »Wie kann ich es verstehen, wenn mir niemand hilft!« Und er forderte Philippus auf, zu ihm in den Wagen zu steigen. Die Stelle, die er gerade gelesen hatte, lautete:
»Wie ein Lamm, wenn es zum Schlachten geführt wird, wie ein Schaf, wenn es geschoren wird, so duldete er alles schweigend, ohne zu klagen. Er wurde aufs tiefste erniedrigt; aber mitten in seiner Erniedrigung wurde das Urteil gegen ihn aufgehoben. Wer wird je seine Nachkommen zählen können? Denn von der Erde weg wurde sein Leben emporgehoben.« Der Mann aus Äthiopien fragte: »Bitte, sag mir doch: Um wen geht es hier eigentlich? Meint der Prophet sich selbst oder einen anderen?« Da ergriff Philippus die Gelegenheit und verkündete ihm, von dem Prophetenwort ausgehend, die Gute Nachricht von Jesus. Unterwegs kamen sie an einer Wasserstelle vorbei, und der Äthiopier sagte: »Hier gibt es Wasser! Spricht etwas dagegen, dass ich getauft werde?« Er ließ den Wagen anhalten. Die beiden stiegen ins Wasser hinab, Philippus und der Äthiopier, und Philippus taufte ihn.  Als sie aus dem Wasser herausstiegen, wurde Philippus vom Geist des Herrn gepackt und weggeführt, und der Äthiopier sah ihn nicht mehr. Von Freude erfüllt setzte er seine Reise fort.

Philippus wird von einem Engel auf eine einsame Landstraße beordert. Der Bote Gottes wird nicht näher beschrieben. Vielleicht war es ein realer Mensch, der zu ihm sagte: „Du, ich habe da das dringende Gefühl, du solltest an diese Straße gehen.“ Vielleicht hatte Philippus einen Traum, vielleicht auch eine innere Stimme, die ihn drängte, dorthin zu gehen. Aber mag sein, dass damals Gott noch deutlicher sprach als heute, und er wirklich Gottes Boten vom Himmel gesehen und gehört hatte. Engel tauchen immer dann auf, wenn etwas Neues geschieht, Gott einen neuen Impuls gibt. So auch hier. Das Evangelium breitet sich bis nach Afrika aus.

Der Äthiopier kam wohl aus dem heutigen Sudan. Er war ein Gottsucher, der sich 1500 km aufgemacht hatte, um den Gott Israels kennenzulernen. Warum? Hatte er gemerkt, dass Geld, das er in seiner einflussreichen Stellung wohl reichlich hatte, nicht alles war? Trieb ihn der Schmerz, keine Frau, keine Familie haben zu können? Hatte er Juden getroffen, die ihn neugierig gemacht hatten?

Jedenfalls bekam er in Jerusalem keine wirkliche Antwort. Auch dort konnte er nicht dazugehören, als Kastrierter musste er außen vor bleiben. Man gab ihm wohl eine Papyrusrolle mit den Worten des Propheten Jesaja mit, sozusagen als Seelsorge-Maßnahme, denn dort findet sich etwas für ihn Hoffnungsvolles: „Wenn ein Eunuch, ein Kastrierter, mein Gesetz befolgt, dann bekommt er in meinem Haus einen Gedenkstein, auf dem sein Name steht. Das wird die Erinnerung an ihn besser bewahren als Söhne und Töchter. So sorge ich dafür, dass sein Name niemals in Vergessenheit gerät.“

Als Philippus diesen Mann an der Straße nach Gaza trifft, liest er gerade in der Rolle. Doch er versteht nicht, von wem Jesaja spricht. Wer ist dieser Knecht Gottes, der die Sünde der Welt trägt? Wie kann es sein, dass sein Tod die Rettung von „uns“ bedeutet?

Philippus trifft ihn gerade in diesem Moment und kann seinem Leben eine neue Richtung geben. 

Verlassen wir kurz die Geschichte von damals und wechseln in unsere Zeit heute. 
Was bedeutet Jesus heute? Wie können wir das Geheimnis dieses Knechtes Gottes, von dem Jesaja sprach, in unsere Welt übersetzen? Ich will es versuchen:

Es gibt einen Gott, der diese Welt gewollt hat und immer noch bei ihr bleibt, weil ihm viel an ihr liegt, er sie liebt. Gott ist keine anonyme Macht, kein Schicksal, vor dem wir Angst haben müssten. Er beugt sich herab und macht sich sichtbar und fühlbar in seinem Sohn Jesus. Er will von uns so wahrgenommen werden, wie Jesus ist: Einer der mit uns geht, und uns zur Seite steht, der unsre Ängste kennt, nichts ist ihm fremd. Jesus bietet sich an als Wegbegleiter in die tiefsten Tiefen, wo niemand mehr ist. Kann ich es wagen, ihm zu vertrauen und mich auf ihn zu verlassen? Es geht auch in kleinen Schritten, als ob da Jesus in meiner Dunkelheit wäre. Ich kann auf Zeichen warten, auf Menschen, die mir Licht ins Dunkel bringen, auf einen Philippus mitten in der persönlichen Wüste. Ich kann mich in eine Gemeinschaft von Christen begeben wie die junge Frau damals in der Bibelstunde, wo ich Zweifel und Fragen raushauen kann und ein Gegenüber finde, das mir zuhört, meine Fragen im Gebet vor Gott bringt und mich die Zuwendung Gottes spüren lässt.

Die Geschichte von Philippus und dem Mann aus Äthiopien spielt sich im Zeitraffer ab. Philippus erklärt ihm, dass sich Jesus hinter dem Knecht Gottes verbirgt, er erzählt ihm von Gottes Liebe, und der Mann begreift, vertraut, lässt sich auf Jesus ein und will getauft werden.

In meiner Erfahrung dauern solche Prozesse meistens Jahre, und auch dann gibt es wieder neue Fragen und Unsicherheiten, wo neue Anhalter am Weg gebraucht werden, die weiterhelfen. Mit einem Philippus ist es meistens nicht getan. 

Wenn wir die Begebenheit von damals nun in einem Theaterstück spielen würden, gäbe es die beiden Hauptrollen: Athiopier und Philippus.

Der Äthiopier: Ich bin auf dem Weg, Gott kennenzulernen oder ihm noch näher zu kommen. Impulse von außen sind wichtig. In Wüstenzeiten steht mein normales Leben auf dem Prüfstand. Soll ich Gott vertrauen, dass er mir hilft, jemand vorbeischickt?

Philippus: Mitten in meinem normalen Alltag möchte ich bereit sein, wenn Gott mich ruft, einen anderen Weg zu gehen. Das kommt mir manchmal ungelegen, hatte ich doch ganz andere Pläne, als mich auf eine Wüstenstraße zu stellen. Die Engel, die Gott mir schickt, will ich aufmerksamer wahrnehmen und ich möchte daran arbeiten, mich von ihnen unterbrechen zu lassen.

Der Äthiopier zog nach dieser Begegnung seine Straße fröhlich weiter. Er ging ganz allein nach Afrika. Wir können die Geschichte für uns weitererzählen, dass er dort nicht allein blieb, sondern anderen von Jesus erzählte, sie miteinander eine Gemeinde wurden, die Pusteblume Jerusalem sich bis nach Afrika ausbreitete.

Der Mann aus Afrika lehrt uns, dass wir als Christen weltweit sehr eng zusammen gehören. Wir haben Verantwortung füreinander und können voneinander lernen. Wenn heute Flüchtende aus anderen Teilen der Welt zu uns kommen, erinnern sie uns an diesen Mann aus Afrika. Wir haben die Chance, sie ein Stück weit zu begleiten. Nicht immer wird am Ende eine Taufe stehen, doch das soll uns nicht abhalten, dass wir ihnen unsere Wegbegleitung anbieten und auf ihre Fragen hören. Jesus ist immer dabei.

Cornelia Trick


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