Bist du für mich das? (Lukas 18,1-8)
Gottesdienst am 30.10.2016 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
mit einer Bekannten kam ich ins Gespräch. Sie machte sich große Sorgen um ihren Bruder, der eine schlimme Diagnose vom Arzt bekommen hatte. Wir sprachen auch über das Beten und wie wichtig es für uns in solchen Situationen ist, mit Gott darüber reden zu können und auf seine Hilfe zu hoffen.

Inzwischen sind einige Monate ins Land gegangen. Die Krankheit wurde nicht besiegt, der Zustand des Bruders verschlechtert sich kontinuierlich. Haben wir umsonst gebetet? Ist unser Beten einfach verpufft? Wozu sollten wir Gott anflehen, wenn er scheinbar nicht reagiert?

Solch eine Situation ist die Nagelprobe des Glaubens. Kann ich Gott trauen, kann ich davon ausgehen, dass er sich um mich kümmert? Oder ist alles Illusion und Vertröstung, um die Wirklichkeit abzumildern?

Diese Fragen stellen wir uns ja nicht erst heute, sie sind sozusagen die Begleitmusik des Glaubens zu allen Zeiten. Jesus kannte sie und griff sie mit einem Gleichnis auf.

Lukas 18,1-8

Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?

Die Geschichte scheint in aller Merkwürdigkeit eindeutig zu sein. Die Frau steht am untersten Ende der sozialen Leiter. Sie ist alleinstehend, ohne Rechtsbeistand, ohne Geld. Mit ihr kann jeder machen, was er will. Wenn sie keine Familie im Hintergrund hat, steht ihr kein Schutzraum zur Verfügung. Normalerweise würde sich eine Witwe zu damaliger Zeit verstecken und froh sein, wenn sie nicht auffällt. Hier begegnen wir der ersten Merkwürdigkeit. Ein Mensch ohne Stimme pocht so beharrlich auf sein Recht.

Der Richter wird als eine Fehlbesetzung beschrieben. Er fürchtet weder Gott noch achtet er seine Mitmenschen. Er macht, was er will, die Frau ist ihm herzlich egal. Dieser mächtige Mann knickt vor der völlig unbedeutenden Frau ein, die zweite Merkwürdigkeit. Ihre penetrantes Nachfragen wird ihm einfach zu dumm, er denkt, besser, er hat sie vom Hals, bevor sie noch auf andere dumme Gedanken kommt.

Wer ist die Frau, wer ist der Richter? Die Frau ist leicht zu übertragen. Sie steht für einen Menschen, der mit existentieller Not zu Gott kommt. Er sieht keinen anderen Ausweg mehr, als dass Gott ihm hilft.

Der Richter ist in gewisser Weise eine Negativfolie Gottes. Er hat Macht wie Gott, aber keine Liebe, keinen Respekt, keine Achtung. Er liebt sich selbst. Jesus schildert das Verhalten dieses Egoisten und deutet damit auf Gott. Wenn schon dieser Richter als komplette Fehlbesetzung der Frau Recht gibt, wie wird erst Gott Recht sprechen, der die Menschen liebt, der seinen Sohn zu ihnen geschickt hat, um ihnen seine Liebe zu beweisen. Keiner und Keine soll zweifeln, dass Gott Gebete erhört.

Wir sollen hier wohl einiges lernen:

1 Aktiv bitten
Unsere Not brauchen wir nicht einfach hinnehmen und uns sagen: Es soll eben so sein. Jesus will, dass wir bitten, schreien und rufen. Er will nicht, dass wir alle Schmerzen und alles Unrecht dieser Welt passiv über uns ergehen lassen. Jesus holt uns bei unserer Lebenswirklichkeit ab. Tag und Nacht sollen wir rufen. Gott zieht diese Schreie an, als wären es Eisenspäne und er ein Magnet. 

Jemand sagte, „Warum soll ich immer wieder das Gleiche beten, Gott weiß es doch sowieso. Ich komme mir dabei einfach blöd vor.“ Jesus weiß, dass richtig ernste Probleme nicht verschwinden, wenn wir nicht mehr darum beten. Sie sacken vielleicht in unser Unterbewusstes, vielleicht beschäftigen sie auch unseren Geist wie ein Programm auf dem PC, das im Hintergrund läuft. Wir merken es nicht, aber unsere Lebenskraft wird davon aufgesaugt. Deshalb die Ermutigung Jesu, diese Themen vor Gott zu bringen und nicht damit allein zu bleiben.

2 Gott hört
Gott beugt sich zu uns herab. Er schlüpft unseretwegen sogar in die schäbige Rolle des Richters, um daran seine Liebe zu uns zu verdeutlichen. Er interessiert sich für uns und weiß, was wir brauchen – Brot, wenn wir hungrig sind, eine Hand, wenn die Wellen über uns zusammenschlagen, Gesundheit, wenn das Leben unerträglich wird. Wir sind ihm nicht gleichgültig, denn unsere Namen sind in seine Hand tätowiert. Wer so intensiv mit uns verbunden ist, will unser Bestes und achtet auf unser Rufen.

3 Das Warten kann uns lang vorkommen
Für manche Sorge beten wir lange, manchmal jahrelang, und nichts tut sich. Jesus sagt hier, dass Gott den Seinen Recht in Kürze verschaffen wird. Wie ist dieser Widerspruch zu deuten? Vielleicht so: Ja – oft bleibt Hilfe aus, chronische Schmerzen verschwinden nicht, chronisches Leid wird nicht aufgelöst. Aber wir müssen uns wohl an die Zusage klammern, dass Gott für uns eintreten wird. Den Zeitpunkt bestimmt Gott. Während wir bitten, wird die Zeit lang, doch vom Ziel aus betrachtet bekommt die Wartezeit einen Sinn als Vorbereitung auf Gottes Weg mit uns.

4 Gebet bedeutet Geborgenheit
Wenn wir beten, treten wir nicht gegen den Chipsautomat, damit er die Chips schneller ausspuckt, sondern treten in Kontakt zu Gott. Der Evangelist Lukas behandelt in verschiedenen Zusammenhängen das Beten. Es ist Rückzugsort, an dem wir vertrauensvoll „Unseren Vater“ ansprechen können. Gebet will Zuhause sein, wo wir getröstet werden, Kraft schöpfen für neue Herausforderungen und immer willkommen sind.

5 Wird Jesus Glauben finden?
Ein bisschen können sich Jesu Schlussworte wie eine Drohung anhören: Wehe, er findet keinen Glauben, dann wird es euch übel ergehen. Aber wir können diese Worte auch anders hören, nämlich als Werben um Antwort auf Gottes Liebe. Wird Jesus unter uns Menschen finden, die ihm vertrauen? Die ihm ihr Innerstes offenlegen und Hilfe erwarten? Wird seine Praxis, in der er unentgeltlich behandelt, aufgesucht werden? Oder wird das Wartezimmer gähnend leer bleiben? Gehen wir zu ihm in die Praxis? Oder suchen wir andere Orte auf, von denen wir uns Rettung versprechen?

Ich stelle mir Gründe vor, warum man nicht zu Jesus geht:
Vielleicht weiß jemand einfach nichts von Jesus. Kirchen kennt er nur als Kulturdenkmäler, einen Gottesdienst hat er nie besucht. Wie kann er was von einem Zuhause wissen, das ihn im Gebet erwartet?

Manche steht vor einer verschlossenen Tür. Sie kommt nicht rein in eine christliche Gemeinschaft. Sie fühlt sich fehl am Platz, unwissend, nicht willkommen.

Jemand will vielleicht eine schnelle Lösung seines Problems, einen chirurgischen Schnitt und gut ist. Er will nicht in eine Beziehung eintreten und warten, wie das Gegenüber, Gott, ihn beeinflusst.

6 Auch wenn wir dieses Gleichnis zu Herzen nehmen, bleibt die Unsicherheit, wird Gott uns erhören?
Mir helfen vier kurze Worte, mit denen Gott auf verschiedene Bitten, die in biblischen Geschichten gebetet wurden, geantwortet hat:

  • Ja: Das ist die beste Antwort. Ich bitte, und Gott sagt Ja, erhört meine Bitte. Viele von Jesus Geheilte hörten dieses Ja Gottes, wurden gesund und änderten ihr Leben.
  • Nein: Auch diese Antwort kann es geben. Zwei Jünger wollten sich mal Plätze im Himmel neben Jesus reservieren lassen. Doch Jesus sagte Nein, denn er durchschaute sie und ihre sehr egoistischen Motive. Er durchschaut auch meine Motive und er sieht weiter. Manches, was für mich gut scheint, wird nicht gut sein.
  • Noch nicht: Die Antwort scheint Gott der bittenden Witwe zu geben. Sie klopft lange an die Tür des Richters – warum? Wir wissen es nicht. Weil es sein kann, dass Gott zu meiner Bitte „noch nicht“ sagt, ist es wichtig, dranzubleiben und nicht aufzugeben. In einem Kollegenkreis beteten wir sehr intensiv für die Christen in Nordkorea. Monate später trafen wir uns wieder. Ein Kollege erzählte, wie er an einer bestimmten Kurve, an der er jeden Tag zweimal vorbeifuhr, immer für Nordkorea betete. Ich war beschämt, war das Anliegen auf meiner Gebetsliste doch wieder sehr nach hinten gerutscht. Inzwischen lebt dieser Kollege schon nicht mehr, doch immer, wenn ich an dieser Kurve vorbeifahre, bete ich für Nordkorea. Viele Kurven liegen auf unseren täglichen Wegen – wir können ihnen die Titel unserer langen Gebetsanliegen geben, so gehen sie uns nicht verloren. Gott gehen sie bestimmt nicht verloren.
  • Wachse: Diese Antwort scheint Gott mir besonders gerne zu geben. Ich bitte oft für Schuhe, die mir noch zu groß sind. Ich möchte den Wachstumsschritt überspringen und gleich meine Bitte erfüllt sehen. Ich möchte – im Bild gesprochen – Pianistin sein, ohne jahrelang Klavier üben zu müssen. Doch das anhaltende Gebet verändert und regt an zum Wachsen. Ich strecke mich aus nach dem, was Gott mir schenken will, ich werde sensibel für Gottes Richtung und seinen Willen. Vielleicht sieht die Erhörung am Ende ganz anders aus als mein anfänglicher Wunsch. Dann kann ich Gott nur danken, dass er sich mit mir auf den Weg gemacht und mich so geformt hat, dass ich zur Gebetserhörung passe.
Das Gleichnis Jesu will uns Mut machen, mit Gott in Beziehung zu treten, mit ihm zu reden und ihn an unseren innersten Gedanken teilhaben zu lassen. Es will uns zusprechen, dass Gott hört und wir auch in Zeiten des Zweifels und der Dunkelheit wissen sollen – Gott liebt uns, er ist keine Fehlbesetzung, sondern unser Vater im Himmel, der uns wie eine Mutter nicht vergisst.
Cornelia Trick


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