Ermutigung zum Brückenbauen
Gottesdienst am 18.05.2008

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
auf der Straße wurde ich letzte Woche von einer Bekannten angesprochen, die in meiner Nachbarschaft wohnt. Sie fragte mich, ob sie am Sonntag in unsere Gemeinde zum Gottesdienst kommen dürfe. "Natürlich", versicherte ich ihr, "unsere Türen sind immer offen, ich freue mich, wenn Sie kommen." Daraufhin bedankte sie sich herzlich und fragte noch mal nach, ob sie auch wirklich kommen dürfte. Mich hat diese Begegnung auf der Straße sehr bewegt. Ich kenne meine Nachbarin seit Jahren. Sie nimmt aktiv am Leben ihrer Kirchengemeinde teil, ist dort eine tragende Säule. Wir haben schon Projekte miteinander gestemmt, und immer wieder halten wir einen Schwatz, wenn wir uns sehen. Warum fragt sie mich, ob sie in den Gottesdienst kommen darf? Welche Signale geben wir in unsere Umgebung? Wirken wir wie ein geschlossener Verein, für den man Mitgliedskarten braucht oder zumindest gute Beziehungen? Und ist unsere Eigenwahrnehmung nicht ganz anders, nämlich dass wir offen sind, jeden herzlich willkommen heißen und immer damit rechnen, dass Neue kommen?

So sind mir für Gemeinde zwei Bilder gekommen. 

  • Gemeinde kann wie eine mittelalterliche Burg sein. Der Burgherr ist Christus, die Gemeinde ist beschäftigt, das Leben in der Burg zu gestalten und aufrecht zu halten. BurgViel Energie wird dafür aufgewendet, die Burg instand zu halten, die Versorgung der Bewohner zu garantieren, die Verteidigungsanlagen zu warten und die Verteidigung zu trainieren, auch Feste für Besucher zu organisieren. Die Zugbrücke wird hochgezogen, sobald Fremde im Anzug sind, sie wird heruntergelassen, wenn Freunde kommen. Eine Gemeinde mit einer Burg-Mentalität kann Jesus Christus im Mittelpunkt haben, sie singt Anbetungslieder, kümmert sich um die Bibel und nimmt Gott ernst. Sie gewinnt Kraft aus ihrer Beziehung zu Jesus Christus. Diese Kraft investiert sie hauptsächlich zum Selbsterhalt, um die Gemeinde zu bauen, instand zu halten und vor Feinden zu schützen. Sie lebt von intensiven freundschaftlichen Kontakten der Mitglieder, doch lässt schnell die Türen zugehen, wenn welche kommen, die nicht in ihre Struktur passen.
  • Gemeinde kann auch sein wie ein Siedlertreck aus den Tagen der Pioniere in Amerika. Vor 200 Jahren schlossen sich die ersten methodistischen Reiseprediger solchen Siedlertrecks Planwagengen Westen an und zogen mit ihnen mit. Sie kamen in unbekannte Gegenden, machten Land urbar, waren offen für Neues und andere Menschen, waren sich bewusst, unterwegs auf ein großes Ziel hin zu sein, und hielten immer wieder inne, um miteinander als kleine Wagenburg Gottesdienste zu feiern.
Welche dieser beiden Gemeindetypen der Heilige Geist ins Leben ruft, wird deutlich, wenn wir zum Beispiel die letzten Worte Jesu im Matthäusevangelium betrachten, die Jesus seinen Jüngern bei seiner Himmelfahrt auf den Weg gab:

Matthäus 28,16-20

Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen:  Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und  machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe,  ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Matthäus schrieb sein Evangelium für eine Gemeinde in Syrien. Die Gemeinde war aus Jerusalem vertrieben worden, und die Juden lebten nun in einer fremden, auch religiös fremden Umgebung. Die Gemeinde war im Umbruch, denn die alten Denkmuster griffen nicht mehr. Sie spürte den Auftrag Jesu, Menschen für ihn zu gewinnen, doch drum herum waren fast nur Leute ohne jüdischen Hintergrund. Sollten die Christen ihre Missionsbemühungen einstellen und sich in eine Art mittelalterlicher Burg zurückziehen? Matthäus schrieb Jesu Leben und Wirken, seine Reden und Worte auf, um sie zu ermutigen und zu trösten. Gerade in diesen letzten Sätzen des Evangeliums, die Jesu Abschiedsworte wiedergeben, kommt zum Ausdruck, dass Jesus die Gemeinde aus der mittelalterlichen Burg, die zu einem Gefängnis werden kann, befreien will. Er gibt der Gemeinde alles mit, was sie braucht auf ihrem Treck zum Gelobten Land (das nicht die Westküste Amerikas ist, sondern die Ewigkeit). 

Die Ausgangslage am Himmelfahrtstag, in der Diasporagemeinde in Syrien und heute, war und ist gleich. Einige Jünger waren voller Zweifel, was die Zukunft anbelangt. Sie hatten sicher nicht Zweifel, ob es Gott überhaupt gäbe und sie sich seine Erscheinungen als Auferstandener nur eingebildet hatten. Sie zweifelten daran, ob sie die Kraft hatten, als Boten Jesu die Welt zu durchdringen. Sie zweifelten wie vorher schon Petrus, als Jesus ihn herausgefordert hatte, aus dem Boot zu steigen und auf dem Wasser zu laufen. Petrus sah die hohen Wellen. Er traute den Wellen mehr zu als Jesus. Die Wellen, so fürchtete er, würden ihn überrollen. Diesen Zweifel kenne ich so gut. Vor einigen Monaten unterrichtete ich zwei Vertretungsstunden Religion in der Grundschule. Ich stand vor den Kindern, die mir zuriefen: "Was? Gebet? Das hilft ja doch nicht. Gott gibt es ja gar nicht!" Und ich war wie gelähmt. Konnte ich diesen Vorurteilen etwas entgegensetzen? Und war meine Kraft und mein Vermögen nicht viel zu klein? 

In diese Zweifel hinein spricht Jesus vier entscheidende Sätze. Der erste und der letzte Satz gehen unter die Haut. Jesus hat alle Vollmacht. Seine Autorität erstreckt sich über Himmel und Erde. Ihm gehört das Land, er ist der Eigentümer unseres Lebens, von seinem Willen über unserem Leben sind wir abhängig. Nehmen wir das Beispiel von der Schulklasse. Jesus leitet die Religionsstunde. Er kann sie lenken, kann eine Atmosphäre zulassen, die ein vertieftes Gespräch zulässt. Ich muss keine Schweißausbrüche bekommen. Jesus liebt die Kinder viel mehr als ich. Es ist sein Anliegen, dass sie das Gespräch mit ihm lernen. So kann ich darauf vertrauen, dass Jesus mich vor diesen Kindern nicht im Stich lässt, denn er hat in seinem vierten Satz zugesagt, alle Minuten bei mir zu sein, in denen ich für ihn Zeugin bin. Damals in den Religionsstunden habe ich diese Hilfe Jesu ganz deutlich erfahren. Es kam nicht zu einem tieferen Eindringen in das Thema Gebet. Dazu war zuviel Unruhe in der Klasse, und Strafarbeiten wollte ich als Vertretung in Religion ja auch nicht verteilen. Also sang ich mit ihnen "Danke, Jesus, danke". Vielleicht sang ich länger als gewöhnlich, jedenfalls prägte sich den Kindern das Lied ein. Als ich sie später auf dem Schulhof traf, sangen einige vor sich hin "Danke, Jesus, danke". Es war an mir, Jesus zu danken, dass er die Herzen der Kinder mit seiner Vollmacht offenbar erreicht hatte.

Zwischen diesen beiden Sätzen stehen zwei Arbeitsaufträge an die Gemeinde. Jesus setzt seine Vollmacht für seine Nachfolgerinnen und Nachfolger ein. Sie sollen zu Menschen gehen, die Jesus noch nicht kennen. Jesus überwindet den natürlichen Drang seiner Nachfolger, sich in der mittelalterlichen Burg heimisch einzurichten und die ganze Energie darauf zu verwenden, den Hofstaat aufrecht zu erhalten. Er schickt die Gemeinde heraus aus der Burg. Er setzt einen Siedlertreck in Gang, der neues Land erkundet, sich in unbekannten Situationen bewährt, Menschen für Gott gewinnt und neue Gemeinden gründet. Denn als Ziel gibt Jesus an, diese Menschen zu Jüngern zu machen, die die Gemeinde unterwegs trifft. Sie werden Jünger, indem sie Jesus in ihr Leben aufnehmen, Vergebung ihrer Sünden erfahren und den Heiligen Geist empfangen als neue Kraftquelle, neuen Motor ihres Lebens. Sie werden Jünger, indem sie lernen, was Jesus ihnen sagt. Um dieses Lernen zu ermöglichen, hatte Matthäus das Evangelium niedergeschrieben mit den Worten Jesu, dazu haben wir heute die Briefe des Paulus und anderer, die uns unterweisen, was Gottes Wille für unser Leben ist.

Jesus schickt seine Gemeinde hinaus aus der Burg auf einen neuen unbekannten Weg. Auf diesem Weg geht es nicht darum, Bäume zu fällen, sondern Menschen mit Jesus bekannt zu machen, sie einzugliedern in die Gemeinde Jesu und mit ihnen neue Gemeinden zu gründen, die ihrerseits wieder hinausgehen, um Jünger Jesu zu gewinnen. 

Diese Ermutigung Jesu kann sich in dreifacher Weise auswirken. (s. auch Michael Herbst, Denn dein ist die Kraft. Für eine wachsende Kirche, 4.AMD-Theologenkongress 2006, www.amd-westfalen.de) 

1 Ermutigung, uns selbst zu vergessen
Um uns Menschen zuzuwenden, die vor unseren Burgmauern leben, brauchen wir den Mut, unsere eigenen Belange zu vergessen, unser höfisches Leben in der sicheren Burg zurückzulassen, um sie aufzusuchen. Es sind nicht die Reichen und Schönen dieser Welt. Die leben oft in ihren scheinbar sicheren Burgen und haben ihre Zugbrücken für uns fest geschlossen. Es sind meistens die Kleinen, Unscheinbaren, Hilfsbedürftigen, die Schuldigen und Schwachen, die Jesu Zuwendung brauchen und sich nach seiner Kraft sehnen.

In der Gemeinde haben wir viel Kraft-Potential. Angeschlossen an den Heiligen Geist sind wir ein gewaltiges Kraftwerk. Doch wofür verwenden wir diese Kraft? Ist es wie mit meinen alten Heizkörpern? Sie strahlen viel Wärme ab. Doch 50% dieser Wärme landet zwischen Heizkörper und Hauswand, wird von der Hauswand absorbiert und erreicht nicht das zu heizende Zimmer. Gehen wir so nicht oft mit der Kraft des Heiligen Geistes um? Wir lassen sie sinnlos verpuffen in der Beschäftigung mit uns selbst. Wir umsorgen uns mit viel Liebe, gehen einander nach, begleiten einander intensiv in der Fürbitte, streiten auch hier und da miteinander, weil wir uns zu nahe kommen. Aber bleibt noch Energie für die Menschen, mit denen wir außerhalb der Gemeinde zu tun haben? Sind sie uns so wichtig, dass wir sie jeden Morgen in unser Gebet einschließen? Und zwar nicht in der Weise: "Lieber Gott, mach, dass mich XY in Ruhe lässt", sondern: "Lieber Gott, mach, dass XY zum Glauben an dich kommt". Jesus ruft uns auf, die Heizkörper, die seinen Heiligen Geist transportieren, umzurüsten. Sie sollen nicht die Burg wärmen, sondern dieser Welt die Liebe Gottes bringen. Gottes Geist ist in uns ausgegossen, dass wir unsere Mission wahrnehmen können und ohne Angst den Weg ins unbekannte Land antreten können.

Beginnen wird der Aufbruch mit der Zielformulierung. Für mich heißt das, für einen Menschen zu beten, der Jesus noch nicht kennt. Für einen Hauskreis kann es heißen, ein Aufgabengebiet auszusuchen, das in die Welt hinein führt. Aus dieser Zielformulierung erwächst ein intensives Gebet um den richtigen Weg und diese Person oder Personengruppe. Der Aufbruch wird dann frei sein vom Schielen auf den persönlichen Gewinn. Wir gehen nicht hinaus, um unser Burgpersonal aufzustocken, sondern um Jesus zu gehorchen und an seiner Mission teilzunehmen. Es geht nicht um uns, sondern um unseren Herrn. Auf dem Weg werden wir Erfahrungen machen, wie Jesus gegenwärtig ist. Wir werden Gaben geschenkt bekommen, die genau zu den Anforderungen passen. Wir werden genug Geld zur Verfügung haben und Gelegenheiten bekommen, von Jesus zu erzählen. Wir werden vor allem Durchhaltevermögen bekommen, wenn die Zweifel wieder durchbrechen.

2 Ermutigung zur Gemeinschaft (Taufet sie ...)
Während des Weges ist der Siedlertreck existenziell aufeinander angewiesen. Christen brauchen wie die Siedler vor 200 Jahren die Gemeinde, die mit ihnen unterwegs ist. So werden neue Christen auf dem Weg nicht einfach allein gelassen, sondern in die Gemeinschaft eingebunden. Jesus ermutigt uns zu dieser Weggemeinschaft, die sich durch zwei Besonderheiten auszeichnet. Die Einzelnen bleiben lernbereit. Sie sind nicht fertig in ihren Meinungen, Ansichten, ihren Lebenserfahrungen und ihren Erwartungen. Sie sind offen für das Lehren des Heiligen Geistes, offen für die Erkenntnisse ihrer Geschwister in der Gemeinde und neugierig, immer genauer Gottes Stimme zu hören. Eine Gemeinde, die sich durch Lernbereitschaft auszeichnet ist das krasse Gegenteil von einer Burgpopulation. Da werden die Jungen in das Handwerk der Alten eingewiesen, die Aufgabengebiete sind bekannt, die alten Hasen wissen, wo es langgeht. Sie hören nicht auf die Jungen.

Eine zweite Besonderheit ist der gemeinsame Auftrag. Eine Gemeinde, die sich nur mit sich selbst beschäftigt, bleibt in ihrer Entwicklung stehen. Sie ist mit einem Samentütchen vergleichbar. Viel Potential steckt in der Tüte. Aber wenn die Samenkörner nicht in die Erde versenkt werden, sondern in der Tüte bleiben, stirbt das Potential irgendwann, ohne dass eine Blüte erblüht ist. Der gemeinsame Auftrag hält Gemeinde am Leben. Wo wir uns für Jesus investieren, um diese Welt für ihn zu gewinnen, werden wir wachsen und Früchte bringen. Wo ist unsere Ackererde? Sind es die Kinder mit ihren Eltern in unserem Ort, für die wir da sein sollten mit Krabbelgruppe, Gottesdiensten, Hilfsangeboten? Sind es Jugendliche, die Orientierung und Hilfe in der Schule brauchen? Sind es alte Menschen, die unsere Arme zum Spazierengehen brauchen? 

3 Ermutigung zum Lehren (Lehret sie ...)
Die meisten sind als Emmaus-Menschen zum Glauben gekommen, nicht als Damaskus-Leute. Sie haben einen kürzeren oder längeren Weg absolviert, um Jesus zu erkennen. Sie haben nicht wie aus heiterem Himmel Jesus gehört, sondern ihn erst wahrgenommen, als er ihnen das Brot zum Leben reichte.

Auf diesem Emmaus-Weg brauchen unsere Mitmenschen Christen, die ihnen die Bibel erklären und von Jesus erzählen. Es braucht Christen, die nicht nur von der Bibel gehört haben, sondern in ihr zuhause sind. Die selbst in diesen Geschichten vorkommen und sie als ihre eigenen erzählen können. Wenn Jesus uns auffordert, unseren Nachbarn von ihm zu erzählen, fordert er uns zuerst auf, uns selbst mit dem Lehrbuch zu beschäftigen und es zu bearbeiten. Vor jeder Bibelstunde, die wir halten, steht die eigene Bibelstunde mit Jesus.

Emmaus-Menschen brauchen aber nicht nur die Wegbegleitung, sondern auch Gelegenheit, eine Entscheidung auf dem Weg zu treffen. So werden wir 2009 an ProChrist teilnehmen, weil die Freunde bei ProChrist eine Zusammenfassung erhalten, was es bedeutet, Christ zu sein, und vor die entscheidende Frage gestellt werden: Willst du oder willst du nicht? Diese Entscheidungsfrage können wir so oft nicht stellen. Die Gefahr ist groß, dass die Freundin Ja zu Jesus sagt, um Sie oder mich als Freundin nicht zu verlieren. Das Ja, das Jesus gilt, muss tief aus dem Herzen kommen ohne taktisches Kalkül. Doch ist ernsthaft zu fragen, ob wir mit einem Glaubenskurs erst nach ProChrist beginnen, oder ob wir ihn schon vor ProChrist anfangen. Jesus hat die Emmausjünger vor ProChrist (bevor er mit ihnen aß) begleitet und ihnen die Bibel erklärt. Ist das nicht ein sinnvoller Ablaufplan auch für uns?

Gemeinde Jesu, das ist seit Pfingsten ein Siedlertreck, der sich aufgemacht hat, um viele Menschen für Jesus zu gewinnen. Dabei gibt Jesus die Kraft, die Vollmacht und die Richtung für seine Gemeinde. Er ermutigt die Schar der Pilger, ihre eigenen Bedürfnisse und Belange zurückzustellen, um sich auf die Menschen am Weg einzustellen. Er ermutigt, diese Menschen in die Gemeinde aufzunehmen und sie zu lehren, was Jesus gesagt hat. Unterwegs, so sagt es Jesus, sind wir Salz und Licht für die Welt, die ohne Jesus im Dunkeln bleibt.

Cornelia Trick


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